Racheengel
aussah, aber umso härter und schmerzhafter wurde, je näher es ihr kam.
Der erste feste Schlag auf ihre Wange verwirrte sie nur. Der zweite machte sie wütend, sie versuchte, die Arme zu heben und sich zu verteidigen, merkte aber, dass ihre Handgelenke hinter dem Rücken gefesselt waren.
Mühsam öffnete sie die Augen und versuchte, in der Flut von Sinneseindrücken, die ihr Hirn zu überschwemmen drohten, einen klaren Gedanken zu fassen. Wie ein schmerzhafter Stachel bohrte sich das Licht mitten in ihren Kopf. Sie blinzelte und versuchte erneut, eine Hand zu heben, um sich zu schützen. Wieder gelang es nicht.
Von irgendwoher kam eine Stimme.
»Was? Wo bin ich?«, fragte sie auf Russisch.
Die Stimme sprach wieder, aber sie verstand die Worte nicht. Dann erkannte sie, dass das Englisch war, und ließ die Worte noch einmal in ihrem Kopf ablaufen, um ihre Bedeutung zu verstehen.
»Dir fehlt nichts«, sagte die Stimme. »Jetzt bleib still sitzen.«
Der, dem die Stimme gehörte, kam in ihr Blickfeld, sein Mondgesichttauchte über ihr auf, beschienen von einer einsamen Glühbirne. Ihr fiel wieder ein, dass sie eine Glühbirne zertrümmert hatte, die winzigen Scherben waren herabgerieselt wie brüchiger Schnee. Dann war sie allein im Dunkeln gewesen und hatte gewartet. Gewartet, dass der, dem die Stimme gehörte, wiederkam.
Um was zu tun?
Um mir wehzutun, dachte sie.
Ein wenig lichtete sich der schwarze Nebel, sie roch etwas Warmes, Feuchtes. Das war Dampf von heißem Wasser. Sie verdrehte den Kopf, so weit es ging, und sah ihn eine große Plastikschüssel von der Werkbank heben. Er trug sie zu ihr her und stellte sie zu ihren Füßen auf den Boden.
Jetzt erinnerte sie sich wieder an ihn. An den Geruch nach saurer Milch, an die beruhigenden Worte, seinen vielsagenden Blick. Aus dem Nebel heraus fiel die Angst sie an. Kaum hatte sie begriffen, bäumte sich ihr ganzer Körper auf, aber sie konnte ihre Gliedmaßen nicht bewegen. Sie wand sich hin und her, versuchte zu erkennen, was ihre Handgelenke am Stuhl festhielt, und sah aus dem Augenwinkel einen Plastikstreifen. Kabelbinder. Als sie versuchte, die Hand wegzuziehen, schnitt er ihr ins Fleisch.
»Nicht«, rief er. »Du tust dir doch weh.«
Sie begann etwas auf Russisch zu sagen, dann verbesserte sie sich. »Was machen Sie?«, fragte sie.
Als er hinter sie trat, folgten ihre Augen ihm, bis ihr der Nacken wehtat. Er holte ein Fläschchen und einen Schwamm von der Werkbank.
»Bitte«, flehte sie. »Was ist das?«
Jetzt lächelte er wieder und ging vor ihr in die Knie. Das Linoleum war weggerollt, darunter war der Beton zum Vorschein gekommen. Galya entdeckte einige rechteckige Stellen, wo man etwas ausgehoben und wieder aufgefüllt hatte. Und sie wusste auch, wofür.
»Hast du bei dir zu Hause die Bibel gelesen?«, fragte er.
Sie verstand zwar seine Worte, aber nicht die Frage. »Bibel?«
»Die Bibel«, wiederholte er. »Über Jesus.«
»Ja«, sagte sie. »Ich gehe in die Kirche.«
»Dann kennst du also auch Maria Magdalena?«
»Ja.«
Er holte eine Drahtschere aus der Tasche, und sie schrak zurück.
»Alles gut«, sagte er mit sanfter, leiser Stimme.
Sie spürte, wie etwas gegen ihr Fußgelenk drückte, hörte ein Schnippen, dann war ihr Fuß für einen Moment frei, bis seine kräftige Hand ihn wieder packte. Galya spannte die Beinmuskeln an.
»Nicht wehren«, sagte er. »Ganz ruhig.«
Sie entspannte ihr Bein und wehrte sich nicht, als er ihren Fuß nahm und in seinen Schoß hob. Er untersuchte die Sohle, blies auf die zerschundene Haut und zuckte gemeinsam mit ihr zusammen, als er sie mit den Fingerspitzen berührte.
»Und weißt du auch, wie Maria Magdalena Ihm die Füße gesalbt hat?« Während er weitersprach, zog er ihr Splitter der Glühbirne aus der Haut. »Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als sie vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Glas mit Salböl.«
Mit der freien Hand goss er eine goldfarbene, zähe Flüssigkeit auf den Schwamm, dann tauchte er ihn in das dampfende Wasser. Er knetete den Schwamm mit den Fingern, bis es schäumte.
»Und trat von hinten zu seinen Füßen« , fuhr er fort, »weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit Salböl.«
Er tupfte ihr den Schwamm auf die Fußsohlen. Der Schaum brannte, und ihr Bein zuckte. Er schnalzte mitfühlend mit der Zunge
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