Racheengel
Küche entdecken und weiter hinten einen fahlen Lichtschein. Er suchte den Hof ab, bis er unter dem Schnee einen säuberlich aufgeschichteten Stapel Ziegelsteine gefunden hatte. Prüfend hob er einen hoch, dann kehrte er damit zum Fenster zurück.
Mit aller Kraft warf er den Ziegel mitten auf das Fenster und musste sich rasch wegducken, um nicht getroffen zu werden, als er zurückprallte. Auf der Scheibe hatte der Wurf nur einen Kratzer hinterlassen.
Gehärtet, dachte er. Wer auch immer hier wohnte, wollte, dass alle, die draußen waren, auch dort blieben und die drinnen vielleicht ebenso. Aber Herkus wusste, wie man gehärtetes Glas zertrümmerte. Natürlich konnte er es auch mit der Glock machen, aber dann würde der Schuss durch die Straßen hallen und Aufmerksamkeit erregen.
Alles, was er brauchte, war ein stabiler Schraubenzieher, den er mit der Spitze in eine Fensterecke setzen würde, und etwas Robustes zum Draufschlagen. Dafür reichte der Ziegelstein aus, und einen Schraubenzieher hatte er im Wagen.
»Bin gleich wieder da«, sagte er zu der Scheibe.
54
Billy Crawford stand reglos da und lauschte.
Was hatte er da gerade gehört?
Es war so laut gewesen, dass es sogar die erstickten Schreie des Mädchens übertönt hatte. Eine ganze Weile war er nun schon mit der Zahnbürste und dem Natron zugange. Er hatte ihr den Kopf in den Nacken gedrückt und mit Gewalt den Mund aufgesperrt.
Am liebsten wäre es ihm gewesen, die Zähne über ein oder zwei Tage hinweg mehrmals zu putzen, aber die Umstände waren nun einmal nicht ideal. Hätte er mehr Zeit gehabt, hätte er ihre Zähne sogar noch richtig bleichen können. Aber diese hier waren ja auch so schon außergewöhnlich schön, er brauchte also nicht allzu enttäuscht zu sein.
Anfangs hatte sie sich gegen ihn gewehrt. Damit war zu rechnen gewesen. Sie wehrten sich immer, bis sie dann merkten, dass das Pulver harmlos war. Sie hatte die Lippen zusammengepresst, die Zähne zusammengebissen und die Zahnbürste erst hineingelassen, als er sie an den Haaren gezogen hatte. Da hatte sie den Mund aufgerissen und vor Schmerzen geschrien, und die Bürste war hineingehuscht wie eine Katze durch eine versehentlich offengelassene Tür.
Sie hatte sich gewunden, aber er hatte ihr weiter an den Haaren gerissen, hatte ihr in den Mund geschaut und erst ihre Backenzähne hinten und anschließend die Schneidezähne mit der Bürste bearbeitet.Wenn sie einmal hustete, hinterließ ihre Spucke kühle Tröpfchen auf seiner Haut.
Dann plötzlich dieser Lärm. Von irgendwo oben ein dröhnendes, hohles Rums.
Er erstarrte, den Kopf zur Seite gelegt. Das Mädchen hatte immer noch die Zahnbürste im Mund und würgte.
»Still«, befahl er und zog die Bürste heraus.
Sie hustete heftig und ruckte an ihrem Stuhl.
Er bückte sich und hob das Handtuch hoch, das neben der Schüssel auf dem Boden lag. Sie versuchte ihm in die Finger zu beißen, als er es ihr mit Gewalt zwischen die Kiefer drückte, aber der Stoff hinderte sie daran. Ihr ersticktes Schreien ging weiter.
»Still«, befahl er noch einmal.
Sie wollte nicht gehorchen.
Wut kochte in ihm hoch. Er holte mit der Hand aus, um sie zu schlagen. Sie schrak zurück, plötzlich still, die Augen fest zugekniffen.
»Gut«, sagte er. »Und jetzt so bleiben.«
Sie atmete schnaufend durch die Nase, ihre Schultern hoben und senkten sich. Er ging zur Treppe und schaute hinauf.
War der Lärm von hinter dem Haus gekommen? Es hatte sich angehört, als sei etwas gegen das Fenster geprallt. An Halloween hatten sich Kinder aus einem Heim in der Nähe hergewagt und Sachen gegen sein Haus geworfen. Er hatte aus dem Dachgeschoss beobachtet, wie die kleinen Teufel sich durch die kleine Gasse geschlichen und wohl offenbar für unsichtbar gehalten hatten. Aber er hatte sie gesehen und sich vorgestellt, wie er sie bestrafen könnte, wenn er nicht befürchtet hätte, die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
Er ging zum Fuß der Treppe und versuchte angestrengt, über das Wimmern des Mädchens und sein eigenes, wild pochendes Herz hinweg etwas wahrzunehmen. Der Kreatur oben hatte ernoch eine zweite Dosis Beruhigungsmittel verabreicht, bis morgen würde sie sich nicht rühren und Ruhe geben. Er überlegte, ob er dem Mädchen noch einmal befehlen sollte, still zu sein, aber es half alles nichts, er musste nach oben und nachsehen, was das für ein Krach gewesen war. Er stieg hinauf.
Das Haus war genauso düster wie vorher. Diesen Ort umgab eine Stille,
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