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Racheengel

Racheengel

Titel: Racheengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stuart Neville
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die ihm schon immer gefallen hatte, seit er vor drei Jahren das erste Mal einen Fuß über die Schwelle gesetzt hatte. Damals war die Kreatur da oben noch ein Mensch gewesen. Dann hatte sie sich verwandelt. Und ihm hatte der Herr dieses Refugium geschenkt.
    Langsam und vorsichtig schlich er in die Küche, setzte einen Fuß vor den anderen wie ein Seiltänzer. Draußen in der Finsternis übergoss die Laterne, die die Gasse nach hinten beleuchtete, den Schnee mit ihrem orangefarbenen Licht. Er trat ans Fenster und hielt den Atem an.
    Fußspuren im Schnee.
    Ein Kratzer mitten auf der Scheibe.
    Ihm wurde schwindelig. Er atmete langsam aus. Jemand war hier gewesen. Jemand hatte versucht, sein Fenster einzuschlagen. Jemand wollte hinein. Vielleicht ein Teenager aus dem Heim, ein Halbstarker auf der Suche nach Wertsachen, die er stehlen konnte.
    Das gehärtete Glas war zwar teuer gewesen, aber es hatte demjenigen das Leben gerettet, der hier hatte einbrechen wollen. Hätte der Eindringling es geschafft, die Scheibe zu zertrümmern, dann …
    Er atmete ein und hielt wieder die Luft an.
    Oben auf dem Tor tauchte im Licht der Laterne die Silhouette einer Gestalt auf. Ein Hüne, der seinen massigen Körper hinüberschwang und auf der anderen Seite hinuntersprang. Das war kein Teenager, kein Halbstarker, der auf einen leichten Bruch aus war. Dieser Mann trug gute Kleidung. Dieser Mann hatte breite Schultern und mächtige Pranken.
    Warum war er hergekommen?
    Der Mann, der sich Billy Crawford nannte, geriet nicht in Panik. Stattdessen verschmolz er mit der Dunkelheit seines eigenen Hauses und beobachtete. Und wartete.

55
    Herkus bückte sich, hob mit der rechten Hand den Ziegelstein auf und kehrte zum Fenster zurück. Mit der Linken setzte er den Schraubenzieher in der unteren Ecke der Scheibe an.
    Er spähte noch einmal durchs Fenster und ließ seinen Blick über das Grau in Grau dahinter schweifen. War dort hinten ein neuer Schatten, der vorher nicht dagewesen war? Wahrscheinlich spielte ihm nur sein übermüdetes Hirn einen Streich. Und jetzt war es ohnehin zu spät. Er hatte sich entschieden, so vorzugehen, und dabei würde er jetzt auch bleiben.
    Beim ersten Versuch hielt das Fenster stand. Fluchend holte Herkus ein zweites Mal aus. Diesmal schlug er noch fester auf den Griff des Schraubenziehers, und im nächsten Moment verwandelte sich die massive Glasscheibe in Tausende winziger Kristalle, die zu Boden regneten. Es klang wie ein Wasserfall.
    Mit der Spitze des Schraubenziehers kratzte Herkus die letzten Splitter heraus und setzte ihn dann an der inneren Scheibe an. Schon dem ersten Schlag hielt das Glas nicht stand. Herkus stand in einem Meer glitzernder Scherben und fühlte einen Schwall warmer Luft, der aus dem Haus drang.
    Als das Prasseln der Splitter aufgehört hatte, blieb er lautlos stehen und lauschte. Überraschen konnte er jetzt niemanden mehr. Wer auch immer hier wohnte, hatte bestimmt gehört, wie die Scheibe zertrümmert wurde. Herkus glaubte nicht, dass er die Polizeirufen würde. Der Mann, dem dieses Haus gehörte, hatte großen Aufwand betrieben, es zu sichern. Ganz offensichtlich gab es hier Dinge, von denen er nicht wollte, dass andere sie sahen.
    Er stellte einen Fuß auf das Fensterbrett, hielt sich am Rahmen fest und zog sich hoch. Glas knirschte unter seinen Schuhen, als er auf der anderen Seite auf das Abtropfbrett trat und sich auf den Boden kauerte. Ächzend streckte er seinen Rücken. Ein Mann seiner Größe war nicht dafür gebaut, über Tore oder durch Fenster zu steigen. Ein Schauer überlief ihn. Sein Körper war in Schweiß geraten, der ihn jetzt frösteln ließ.
    Im Dunkel erkannte er eine Tür, die in einen Flur führte. Er näherte sich ihr mit so leisen Schritten, wie sein mächtiger Körper es zuließ, und atmete langsam und flach. Angestrengt lauschten seine Ohren auf jede Bewegung um ihn herum.
    Als er die Küche verließ, erhaschte er einen schmalen Lichtstrahl, ein helles Viereck in der Dunkelheit. Er schlich darauf zu und fuhr mit den Fingern tastend darüber, bis er einen Türknauf gefunden hatte. Knarrend ging die Tür auf, und er sah eine Holztreppe. Von unten hörte er eine gedämpfte Stimme.
    Die Stimme eines Mädchens.

56
    Der widerliche salzige Geschmack schnürte Galya die Kehle zu. Sie hustete, schaffte es jedoch nicht, das Handtuch im Mund loszuwerden. Ein paar Sekunden lang befürchtete sie schon, sich übergeben zu müssen, und die Vorstellung, hier in diesem Keller zu

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