Racheengel
ersticken, versetzte sie beinahe in noch größere Panik als alles, was sie in den letzten vierundzwanzig Stunden durchgemacht hatte.
Um die Panik einzudämmen und wieder klar denken zu können, zwang sie sich, tief durch die Nase einzuatmen und ihr Gehirn mit Sauerstoff zu versorgen. Es kam ihr vor, als habe sie schon alle Angst ertragen, die sie nur ertragen konnte, und mehr, als sie je für möglich gehalten hätte. Vielleicht wäre es einfacher gewesen, wenn sie den Verstand verloren hätte, aber ihr Verstand wollte nicht aufgeben.
Dann jedoch hatte dieser Irre sie verlassen, und ein Funken Hoffnung war zurückgekehrt. Im ersten Moment verfluchte Galya sie und hätte sie am liebsten aus ihrem Kopf verbannt, aber sie kam immer wieder.
Noch einmal betete Galya zur heimgekehrten Seele ihrer Großmutter. Sie kniff die Augen zusammen und flehte Mama um ein Wunder an, irgendeinen Ausweg, egal welchen. Bis jetzt waren ihre Gebete auf taube Ohren gestoßen, trotzdem betete sie weiter.
Als sie die Augen wieder aufmachte, verschleierten Tränen ihren Blick. Sie zwinkerte heftig und fühlte, wie sie ihr heiß überdie Wange rannen. Dann lichtete sich der Schleier, doch nur für einen Augenblick, denn bei dem, was sie sah, füllten neue Tränen ihre Augen.
Ein Mann, groß und breitschultrig, kam die Stufen hinunter, die riesigen Hände ausgestreckt, um sie zu befreien.
Galya Petrowa weinte vor Freude, sie dankte der Seele ihrer Mama und flehte sie noch ein letztes Mal an.
Bitte, Mama, mach, dass er wirklich ist.
57
Der Mann, der einmal Edwin Paynter gewesen war, schaute wachsam die Treppe hinunter. Als dieser Hüne das Fenster zertrümmert hatte und eingestiegen war, hatte er sich an die Küchenwand gedrückt und war eins geworden mit der Dunkelheit. Unentdeckt hatte er dort ausgeharrt, bis der Mann den Raum verließ.
Früher, als er noch Edwin Paynter gewesen war, hatte er sich viel Mühe gegeben, nicht gesehen zu werden. Oft hatte er sich einen Spaß daraus gemacht, Leute zu verfolgen und aus nur ein paar Metern Abstand zu beobachten, ohne dass sie sein Interesse an ihnen ahnten. Besonders Frauen. Es hatte ihm ungeheures Vergnügen bereitet, sich an junge Mütter heranzupirschen, während sie die Gänge von Supermärkten durchstreiften, ohne zu wissen, dass er ihnen auf Schritt und Tritt folgte. Gelegentlich blieb eine Frau stehen und strich sich mit der Hand über den Nacken, als wolle sie einen Störenfried verscheuchen, dann musste er jedes Mal ein Kichern unterdrücken.
Einmal war er einer Frau in einem Kostüm vom ersten Gang aus durch den ganzen Laden gefolgt, bis zur Kasse und dann noch hinaus zu ihrem Wagen. Es war einer von diesen neuen Volkswagen-Käfern gewesen. Alle möglichen Dinge waren ihm durch den Kopf geschossen, als er begriffen hatte, dass sie und er in dieser Ecke des Parkhauses ganz allein waren. Ein Dutzend Impulse wollten aus ihm hervorbrechen, während er zusah, wie sie ihre Einkäufe verstaute,und keiner war stärker als das Verlangen, sie zu erretten und zum Herrn zu führen. Doch der höher entwickelte Teil seines Bewusstseins, jener, der für den Selbsterhaltungstrieb zuständig war, warnte ihn, dass alles verloren war, wenn er so unbesonnen handelte.
Die Frau ahnte gar nicht, welch schmaler Grat sich zwischen ihr und der Bestie befand, die er in seinem Herzen gefangen hielt. Wäre er nicht so stark gewesen, hätte sie den Segen seines Zorns zu spüren bekommen.
Diese Menschen, dachte er später an jenem Abend, diese ziellosen Tiere, sie wissen gar nicht, was sie aus den dunklen Winkeln der Welt heraus beobachtet. Sie bleiben nur am Leben, weil der Herr, dem ich diene, es zulässt.
Zu diesem Zeitpunkt hatte er sich schon drei geholt, aber es war jedes Mal ein schlecht geplantes und riskantes Unterfangen gewesen. Beim zweiten Mal war es schon besser gelaufen als beim ersten Mal, und beim dritten sogar noch besser, aber die Zeit im Gefängnis hatte ihn gelehrt, sich zurückzuhalten, bis er sein Werk mit der gebotenen Sorgfalt ausführen konnte. Dann hatte der Herr ihn in diese Stadt geführt und in dieses Haus, und er hatte gewusst, dass er seine Reise beginnen konnte.
Aber das war jetzt alles vorbei.
Der Hüne da war kein Einbrecher. Er hatte sich dieses Haus nicht zufällig ausgesucht. Und wenn der Hüne diesen Ort gefunden hatte, dann würden auch noch andere kommen.
In der Zeit, die es dauerte, ein Fenster zu zertrümmern, hörte Billy Crawford auf zu existieren. Edwin
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