Racheherz - Roman
Illustrationen gefunden hat.«
»Darf ich Ihnen eine davon abkaufen? Ich hätte sie gern als eine … zur Erinnerung an Ismay.«
»Es käme mir nicht in den Sinn, auch nur einen Cent von Ihnen anzunehmen«, sagte sie. »Suchen Sie sich eine aus. Aber Sie haben mir immer noch nicht erzählt, welche Gefälligkeit Ihnen Ismay erwiesen und Sie damit so sehr beeindruckt hat.«
Er hielt das Buch in der Hand, als er zu dem Chesterfield-Sofa zurückkehrte, auf dem Cathy saß, und sich dort hinsetzte, um sich eine Geschichte auszudenken, die er mit ein paar Körnern Wahrheit würzte. Er verlegte den Zeitpunkt seiner Geschichte vor Ismays Tod und erwähnte keine Herztransplantation, sondern dichtete sich stattdessen eine
mehrfache Bypass-Operation an. Er erzählte ihr, wie groß seine Angst gewesen sei, er würde sterben, und wie Ismay ihn eines Nachts im Krankenhaus eine Stunde lang so weise beraten hatte und in der folgenden Nacht zwei Stunden lang und dass sie nach seiner Entlassung den Kontakt aufrechterhalten und ihn in einer Zeit aufgemuntert hatte, in der er andernfalls in Depressionen versunken wäre.
Er musste die Geschichte gut erzählt haben, denn Ismena war zu Tränen gerührt. »Das sieht ihr ja so ähnlich, genau so war Ismay, immer für andere da.«
Cathy Sienna beobachtete ihn mit trockenen Augen.
Ismena zog wadenhohe Stiefel und einen Mantel an und ging mit Ryan und Cathy über die Straße und auf den Friedhof. Sie führte die beiden zu Ismays Grab und richtete den Strahl ihrer Taschenlampe auf den Grabstein.
Ryan überlegte, ob die Dinge anders verlaufen wären, wenn er diesen Friedhof und dieses Grab bei seinem vorherigen Besuch in Denver gefunden hätte, vor seiner Transplantation.
49
In dem Escalade war Ryan weder zum Reden aufgelegt noch in der Lage, sich etwas einfallen zu lassen, was er hätte sagen können. Cathy wahrte ihre Professionalität und ließ sich keine Spur von Neugier anmerken.
Durch den Widerschein der Lichter der Großstadt, schwarz und chromgelb gesprenkelt, schien der bedeckte Himmel zu glimmen. Wie wehende Asche trieben Schneeflocken über die Windschutzscheibe.
Im Hotel war ihr Zimmer vier Etagen unter seinem. Als sie aus dem Aufzug stieg, sagte sie: »Träumen Sie schön«, während die Türen zwischen ihnen zuglitten.
Da er nur eine kleine Reisetasche mitgenommen hatte, hatte Ryan abgelehnt, dass ein Page sie begleitete. Als Cathy ihn im Aufzug allein ließ, drehte sich sein Magen um und es kam ihm vor, als würde die Kabine auf den Grund des Schachts stürzen.
Stattdessen brachte ihn der Lift in seine Etage und er fand dort seine Suite.
Vor den Fenstern erhob sich Denver in einem geisterhaft fahlen Licht, als hätte Ryan die Stadt im Meer aus seinen Träumen mitgebracht.
Er setzte sich an den Schreibtisch und spülte seine Medikamente mit einer Flasche Bier aus der Minibar hinunter.
Kaum hatte er die letzte von zwei Tabletten und fünf Kapseln geschluckt, schlug er den Gedichtband auf und blätterte ihn von Anfang an durch.
Er fand ein Gedicht mit dem Titel »Der See« und es war der wildromantische See aus seinem Traum, reizvoll in seiner Einsamkeit und rundherum von schwarzen Felsen und hohen Kiefern umgeben.
Als er wieder bei »Die Stadt im Meer« angelangt war, las er das Gedicht zweimal stumm und dann die letzten vier Zeilen ein drittes Mal laut: »Und wenn unter Stöhnen, das irdisch nicht klingt,/In die Tiefe hinab diese Stadt versinkt,/ Wird die Hölle ihr Ehrfurcht erweisen, bebend/Sich von Tausenden Thronen erhebend.«
Weiter hinten in dem Band fand er seinen dritten Traum in einem Gedicht mit dem Titel »Das verwunschene Schloss«.
Er konnte sich keine vernünftige Argumentationskette vorstellen, mit der sich Ismay Clemm oder diese Träume erklären ließen, die durch das Werk ihres Lieblingsautors inspiriert worden waren.
Um in die Unvernunft einzutauchen und eine übernatürliche Erklärung heraufzubeschwören, fehlte Ryan die Übung darin, in Meeren des Aberglaubens zu schwimmen. Und es schien ihm ein gefährlicher Zeitpunkt, um sich mit einem Kopfsprung dort hineinzustürzen.
Er glaubte nicht an Geister, aber wenn Ismay ein Geist mit einer Nachricht für ihn gewesen war, dann konnte er den Sinn der Botschaft nicht entziffern.
Fast hätte er das Buch beiseitegelegt, ohne es bis zum Ende durchzublättern, aber er erinnerte sich daran, wie er das Ringbuch in Barghests Arbeitszimmer zur Seite gelegt hatte, nachdem er Teresas Foto gefunden hatte -
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