Racheherz - Roman
ausreichend und erlaubte ihm, durchs Haus zu laufen, ohne eine Lampe einzuschalten.
Kurz vor Mitternacht führten ihn Lichter in einem der hinteren Flure zu dem großen Küchenvorraum, wo in Mahagonischränken
Porzellan und Gläser aufbewahrt wurden. Er hörte Stimmen aus der angrenzenden Küche.
Tagsüber arbeiteten hier noch weitere Angestellte, doch die Tings wohnten als Einzige hier. Dennoch konnte Ryan ihre Stimmen nicht gleich identifizieren, da sie sich leise, fast schon im Flüsterton miteinander unterhielten.
Für gewöhnlich waren die Tings um diese Zeit im Bett. Ihr Arbeitstag begann um acht Uhr morgens.
Obwohl Ryan noch nie in seinem Leben von Aberglauben geplagt worden war, befiel ihn jetzt ein unheimliches Gefühl. Er hatte plötzlich den Eindruck, das Haus berge Geheimnisse. Er meinte, für sein Wohlbefinden sei es unerlässlich, alles in Erfahrung zu bringen, was man ihm verheimlichte.
Er hielt sein linkes Ohr an den Spalt zwischen dem Türrahmen und der Schwingtür und spitzte die Ohren.
Die geräumige Küche war so entworfen, dass ein Partyservice darin kunstvolle Buffets für riesige Partys vorbereiten konnte. Die gesenkten Stimmen wurden leise von dem kostspieligen Granit der Arbeitsflächen und dem Edelstahl zahlreicher Haushaltsgeräte zurückgeworfen.
Er ging das Risiko seiner Entdeckung ein und stieß die Tür vorsichtig zwei bis drei Zentimeter weit auf. Die Stimmen wurden dadurch nicht lauter und ebensowenig fügten sich die gemurmelten Laute zu Wörtern zusammen.
Allerdings hörte Ryan jetzt auch das leise Klappern und Klirren von Geschirr und Gläsern, und das kam ihm seltsam vor. Lee und Kay hatten das Geschirr vom Abendessen bestimmt schon vor Stunden gespült, und wenn ihnen nach einem nächtlichen Snack zumute gewesen wäre, hätten sie ihn sich vermutlich in der kleinen Küche zubereitet, die Bestandteil ihrer Einliegerwohnung war.
Er hörte aber auch ein eigentümliches schleifendes Geräusch, leise und rhythmisch. Es war keines der üblichen Alltagsgeräusche und doch war es ihm vage vertraut und - aus Gründen, die er nicht definieren konnte - unheimlich.
Mit der Zeit kam ihm sein Lauschen albern vor. Das einzig Unheimliche in seinem Haus war seine eigene Fantasie, die durch das Schreckgespenst seiner Sterblichkeit verwirrt und auf düstere Abwege geführt wurde.
Dennoch wallte Furcht in ihm auf, als er mit dem Gedanken spielte, die Schwingtür nach innen zu drücken, um die Identität der Personen, die sich in der Küche aufhielten, in Erfahrung zu bringen. Abrupt trappelte sein Herz so hart wie Hufe auf Stein und so schnell, als würden sich alle vier apokalyptischen Reiter auf einmal nähern.
Er ließ die Tür behutsam wieder zu gehen und wich zurück.
Die rechte Hand auf sein Herz, die linke an einen Schrank gepresst, um Halt zu finden, wartete er darauf, dass ein weiterer Anfall ihm die Beine wegziehen und ihn hilflos auf dem Fußboden zurücklassen würde.
Da wurde es im Küchenvorraum dunkel.
Ryan hätte glauben können, er sei erblindet, wenn nicht die Lichter im Flur gewesen wären, hinter der Tür, durch die er eingetreten war.
Auf der anderen Seite der geschlossenen Schwingtür waren die Lichter in der Küche ausgeschaltet worden. Dort befand sich auch ein Wandschalter für das Licht im Vorraum.
Jetzt versank der Flur ebenfalls in Dunkelheit.
Der fensterlose Vorraum hätte nicht schwärzer sein können, wenn er ein gepolsterter, mit Seide ausgeschlagener
Bronzesarg mit vollkommen exakt abschließenden Rändern gewesen wäre.
Da der Lärm seines verräterischen Herzens ohnehin alles andere übertönte, gelangte Ryan zu der Überzeugung, dass jemand näher kam, jemand, der in dieser tiefen Dunkelheit so gut sah wie eine Katze, die im Mondlicht auf Beutefang geht. Er erwartete, dass sich gleich eine Hand auf seine Schulter legte oder die kalten Finger eines Fremden sich auf seine Lippen pressten.
Das Gewicht seines Herzens zwang ihn, sich auf den Boden zu setzen. Die Knie gaben unter ihm nach und er glitt an der Front eines Geschirrschranks hinab. Die Griffe der Schubladen drückten sich in seinen Rücken.
Im Lauf der nächsten Minuten wuchs sich der Aufruhr in seiner Brust nicht etwa zu handfester Anarchie aus, sondern ließ in der Tat allmählich nach, bis wieder von einem normalen Herzschlag die Rede sein konnte, von einem gemessenen Rhythmus.
Die Schwäche klang ab, und mit der Rückkehr seiner Kraft schlug Angst in Demütigung um.
Die Griffe der
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