Racheherz - Roman
Schubladen boten seinen Händen Halt und Ryan zog sich daran auf die Füße. Er tastete sich durch das zähe Dunkel zur Schwingtür vor.
Dort lauschte er. Kein Murmeln drang aus der Küche, kein Flüstern, kein Klappern oder Klirren, keine leisen, aber doch unheimlichen schleifenden Geräusche.
Er ging durch die Tür, zog sie hinter sich zu und blieb mit dem Rücken zur Tür stehen.
Zu seiner Rechten befanden sich über den Spülbecken und den Geschirrablagen Fenster nach Westen. Der Schimmer des Flachlands von Newport Beach und der Mond über
dem Meer sorgten dafür, dass sich die Fensterscheiben deutlich abzeichneten.
Er wagte es, das Licht einzuschalten, und stellte fest, dass er allein war.
Außer der Tür zum Vorraum hatte die große Küche noch drei weitere Ausgänge: Der erste führte auf einen Patio, der zweite ins Frühstückszimmer und der letzte in den rückwärtigen Flur. Vom Frühstückszimmer führte ebenfalls eine Tür auf den Patio und eine andere in den Flur.
Bestimmt waren es die Stimmen von Lee und Kay gewesen. Die beiden hatten eine alltägliche Angelegenheit erledigt und nicht bemerkt, dass er im Küchenvorraum gewesen war.
Aber wenn sie davon ausgingen, dass Ryan oben in seinem Schlafzimmer am anderen Ende des großen Hauses schlief, warum hatten die Tings dann geflüstert?
An beiden Enden der Küche wie auch an anderen Punkten überall im Haus waren Crestron-Touchpanels in die Wand eingelassen. Er berührte eines und der Monitor wurde hell. Von hier aus konnte er die Beleuchtung, das Audiosystem für das ganze Haus, die Heizung und die Klimaanlage und andere Systeme steuern.
Er wählte die Sicherheitseinstellungen und sah, dass die Tings, wie sonst auch, die Alarmanlage eingeschaltet hatten. Kein Eindringling hätte das Haus betreten können, ohne den Alarm auszulösen. Außerdem hätte eine aufgezeichnete Stimme die Stelle genannt, wo jemand eingedrungen war.
Zwanzig Kameras, die draußen auf dem Grundstück installiert waren, lieferten Ansichten des Geländes. Er nahm sie sich der Reihe nach vor. Obwohl sich die Klarheit der Aufnahmen
durch die Nachtsichttechnologie von Kamera zu Kamera unterschied, jeweils abhängig von den Lichtverhältnissen draußen, sah er niemanden, der sich auf seinem Anwesen herumtrieb, und keine andere Bewegung als die bleichen Silhouetten einiger Nachtfalter.
Er kehrte in seine Suite zurück, legte sich aber nicht ins Bett. In einem Alkoven, der von dem kleinen Wohnzimmer abging, wo er das Abendessen eingenommen hatte, stand ein Art-déco-Schreibtisch aus Amboinaholz von circa 1928. Dort setzte er sich hin, allerdings nicht, um zu arbeiten.
Lee und Kay Ting waren seit zwei Jahren bei ihm angestellt. Sie brachten die nötigen Voraussetzungen für ihren Aufgabenbereich mit, waren einsatzfreudig und zuverlässig.
Ihre Hintergründe waren eingehend überprüft worden. Das hatte Wilson Mott übernommen, ein ehemaliger Beamter der Mordkommission, der jetzt als Sicherheitsberater tätig war und an den sich Ryan in allen Angelegenheiten wandte, die nicht direkt mit seiner Firma Be2Do zu tun hatten.
Und doch hatte Forry Stafford etwas gesagt, das sein Gedächtnis ihm jetzt wie eine Aufzeichnung erneut vorspielte: Vernarbung des Endokards, Amyloidose, Vergiftung …
Mit jeder Wiederholung schien Forrys Stimme in seiner Erinnerung eine unheilvollere Betonung auf das Wort Vergiftung zu legen, obwohl er die Möglichkeit in Ryans Fall sogleich ausgeschlossen hatte.
Für einen Mann, der sein Leben lang gesund gewesen war, nicht einfach nur gesund, sondern geradezu auffallend vital, schien eine plötzliche ernsthafte Erkrankung des Herzens eine Erklärung zu verlangen, die über die genetische Veranlagung oder eine Fehlfunktion seines Körpers hinausging.
Sein eigener Existenzkampf und unerbittliche Rivalität hatten ihn gelehrt, dass es auf dieser Welt Menschen gab, deren Motive suspekt und deren Methoden skrupellos waren.
Gift.
Ein leises Trommeln lenkte seine Aufmerksamkeit auf das Fenster nach Westen. Das Geräusch verstummte in dem Moment, als er den Kopf wandte, um dessen Ursprung zu erkunden.
Der Mond war ein stählerner Krummsäbel und sein Licht enthüllte nicht, was ans Glas gepocht hatte. Höchstwahrscheinlich nur ein Nachtfalter oder ein anderes nachtaktives Insekt.
Er wandte seine Aufmerksamkeit seinen Händen zu, die zu Fäusten geballt auf dem Schreibtisch ruhten. Während des Anfalls war es ihm vorgekommen, als würde eine grausame Faust sein
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