Racheherz - Roman
mitgeteilt.«
Mit den Narben auf seinem kahlen Kopf, den durchdringenden violett-schwarzen Augen und den breiten Nasenlöchern,
die sich stärker blähten, als errege sie der Geruch von Blut, hätte George Zane eine furchterregende Figur abgeben können. Stattdessen übte er eine beruhigende Wirkung auf Ryan aus.
»Sie gehen sehr geschickt mit der Nadel um, George.«
»Danke, Sir.«
»Es hat überhaupt nicht gepiekst. Und Sie können gut mit Kranken umgehen.«
»Das liegt am Militär.«
»Mir war nicht klar, dass man beim Militär solchen Wert auf einen sensiblen Umgang mit Kranken legt.«
»Das lernt man auf dem Schlachtfeld. Durch das Leiden, das man dort sieht. Da möchte man von sich aus behutsam mit den Kranken umgehen.«
»Ich war nie beim Militär.«
»Ob in der Army oder sonstwo, wir ziehen doch alle täglich in den Krieg. Noch zwei Röhrchen, Sir.«
Als Zane den mit Blut gefüllten Kolben von der Kanüle nahm und einen leeren anbrachte, sagte Ryan: »Sie halten mich wahrscheinlich für ziemlich paranoid.«
»Nein, Sir. Es gibt das Böse auf der Welt, so viel steht fest. Sich dessen bewusst zu sein, stimmt einen realistisch, nicht paranoid.«
»Die Vorstellung, dass jemand mich vergiftet oder unter Drogen setzt …«
»Da wären Sie nicht der Erste. Der Feind befindet sich nicht immer auf der anderen Seite einer Schusswaffe oder hinter einer Bombe. Manchmal ist er sehr nah. Manchmal sieht er aus wie wir und wird dadurch nahezu unsichtbar, und dann ist er am gefährlichsten.«
Ryan hatte Wilson Mott auch angewiesen, ihm ein verschreibungspflichtiges Schlafmittel zu besorgen und es Zane mitzugeben. Er wollte ein Medikament, das stark genug war, um nicht nur die Form von Schlaflosigkeit zu verhindern, die zu weit aufgerissenen Augen, zappeligen Beinen und rasender Hirnaktivität führte und ihn verrückt genug für den Versuch machte, einen Hai zu reiten, sondern auch gewährleistete, dass er zu tief schlief, um zu träumen.
Nachdem Zane mit dem Blut fortgegangen war, bestellte Ryan beim Zimmerservice ein so schweres Abendessen, dass allein schon dessen Verzehr ihn ebenso nachhaltig hätte ruhigstellen sollen wie ein Barbituratcocktail.
Nach dem Abendessen las er die Dosierungsanleitung auf der Tablettenpackung, nahm zwei Kapseln statt der empfohlenen einen und spülte sie mit einem Glas Milch hinunter.
Im Bett benutzte er die Fernbedienung, um durch das Meer an Unterhaltungsangeboten zu surfen, die von dem Betreiber des Satellitenfernsehens bereitgestellt wurden, mit dem das Hotel einen Vertrag hatte. Auf einem Kanal für Filmklassiker fand er einen Film über Frauen im Gefängnis, der so herrlich ermüdend war, dass er das verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel vielleicht gar nicht gebraucht hätte. Er schlief ein.
Stille Dunkelheit, die vage Wahrnehmung einer zerknautschten Zudecke und ansonsten nur stille Dunkelheit. Dazu die rhythmischen inneren Geräusche von Herzkontraktionen und arteriellem Andrang, so schwarz wie ein mondloser See,
wie die Flügel eines Raben, Dunkelheit und sonst gar nichts, nur das und nichts anderes …
Und dann wurde ein flackernder Traum von einem Rechteck eingerahmt, rundherum Schwärze.
Ein Mann und eine Frau sprachen, die männliche Stimme klang vertraut, und dazu ertönte Musik. Ein Gefühl von Dringlichkeit. Schüsse.
Der Traum flackerte, weil Ryan blinzelte, und in ein Rechteck war er eingerahmt, weil es kein Traum war und auch nicht der Film über Frauen im Gefängnis, sondern ein Filmklassiker, den der Sender mitten in der Nacht brachte.
Die Leuchtziffern auf der Nachttischuhr zeigten 2:36. Er hatte vier Stunden geschlafen, vielleicht auch fünf.
Er wollte mehr Schlaf, brauchte mehr Schlaf, tastete nach der Fernbedienung, fand sie, löschte das Rechteck bunter Bilder aus, brachte die Waffen zum Schweigen, brachte die Musik zum Schweigen, brachte die Frau zum Schweigen, brachte William Holden zum Schweigen.
Als ihm die Fernbedienung aus der schlaffen Hand glitt und er in den Trost der Selbstvergessenheit versank, wurde ihm klar, dass der Film, den er gerade ausgeschaltet hatte, derselbe gewesen war wie am Donnerstagmorgen. Da hatte er nach dem furchtbaren Anfall am Mittwochabend, der ihn zu seinem Internisten Forry Stafford getrieben hatte, das Bewusstsein wiedererlangt.
Schon am Donnerstagmorgen auf dem Fußboden seines Schlafzimmers war er zu der Überzeugung gelangt, der unbekannte Film mit William Holden im Fernsehen besäße eine ganz
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