Racheherz - Roman
glücklich bist, wie du es voll und ganz verdient hast. Vielleicht könntest du mir das Buch widmen. Nein, das nehme ich zurück. Es gehört sich nicht, dass ich dich darum bitte. Widme es, wem du willst, irgendeinem Idioten, der es nicht verdient hat, wenn es das ist, was du willst. Aber wenn es in dem Buch auch nur im Entferntesten
um Liebe geht, Sam, und da ich dich kenne, denke ich, es muss so sein, also, wenn Liebe darin auch nur am Rande vorkommt, dann kannst du ihnen vielleicht sagen, dass du wenigstens ein bisschen über dieses Thema von mir gelernt hast. Ich habe alles über die Liebe von dir gelernt. Ich melde mich bald bei dir. Ich hoffe, wir sehen uns bald, Sam. Über alles geliebte Sam.«
30
Ryans Koffer war schon seit Wochen gepackt. Um 5:45 Uhr fuhr er damit im Aufzug zum Erdgeschoss hinunter und trug ihn durch die eleganten, stillen Räume zur Haustür.
Das war sein Traumhaus. Er hatte viel Zeit und Gedanken in Planung und Ausführung sämtlicher Details einfließen lassen. Er liebte dieses Haus. Aber er verabschiedete sich nicht von ihm und vergeudete auch keinen Moment darauf, es ein letztes Mal zu bewundern. Am Ende zählte das Haus nicht.
Um diese Uhrzeit war weder von den Hausangestellten noch von den Gärtnern etwas zu sehen. In der Dunkelheit vor dem Morgengrauen hatte sich Stille über der Gegend ausgebreitet, die nur durch den Schrei einer Eule und den laufenden Motor des Krankenwagens in der Auffahrt durchbrochen wurde.
Dr. Hobb hatte den Krankenwagen bestellt, der von außen wie ein Lieferwagen aussah. Unter Verwendung von Ryans Sicherheitskennwort hatte er im Torwächterhaus angerufen, damit man das Fahrzeug in die bewachte Wohnanlage ließ.
Einer der Sanitäter erwartete ihn an der Haustür. Er bestand darauf, Ryans Koffer zu tragen.
Nachdem er das Gepäckstück in den Wagen gestellt hatte und Ryan beim Einsteigen behilflich gewesen war, sagte der Sanitäter: »Ist es Ihnen lieber, wenn ich vorn bei meinem Partner sitze, oder soll ich hier hinten bei Ihnen bleiben?«
»Ich komme allein zurecht«, beteuerte Ryan ihm. »Mir droht keine akute Gefahr.«
Während der Fahrt zum Flughafen lag er auf dem Rücken auf der fahrbaren Krankentrage.
Um ihn herum standen geschlossene Regale mit Medikamenten für die Notfallversorgung, ein transportables Sauerstoffgerät, ein Absauggerät, zwei Sauerstoffflaschen und andere Apparaturen: All das ließ ihn daran denken, dass seine Welt für die nächste Zeit auf die Dimensionen eines Krankenhauses schrumpfen würde.
Jetzt dauerte es nicht mehr lange, bis Dr. Hobb Ryans Brustbein durchsägen, seinen Brustkorb öffnen, während eine Maschine seinen Blutkreislauf aufrechterhielt, sein krankes Herz herausnehmen und ihm das Herz eines barmherzigen Fremden einpflanzen würde.
Statt sich zu steigern ließ seine Furcht nach. Er hatte sich so lange Zeit hilflos und dem Schicksal ausgeliefert gefühlt. Jetzt konnte etwas Positives unternommen werden. Wir werden nicht geboren, um zu warten. Wir werden geboren, um zu handeln.
Der Fahrer benutzte sein Aufgebot an kreisenden Blinklichtern auf dem Dach, um andere Verkehrsteilnehmer zum Ausweichen anzuhalten. Um diese Tageszeit sollten die Freeways nicht verstopft sein und eine Sirene war daher nicht unbedingt erforderlich.
Als Fahrer hatte Ryan das Bedürfnis nach Geschwindigkeit, als Beifahrer war er noch nie so schnell befördert worden - und schon gar nicht flach auf dem Rücken liegend. Ihm gefielen das laute Geräusch der Reifen, das ihn an die Brandung erinnerte, und das Pfeifen des Windes, den der Krankenwagen erzeugte, als er sich durch den frühen Morgen
schnitt, ein Pfeifen, das für ihn weder das Kreischen einer Todesfee noch das Schrillen einer Alarmanlage war, sondern beinahe ein Schlaflied.
Sie näherten sich schon dem Flughafen, als ihm aufging, dass er weder seine Mutter noch seinen Vater angerufen hatte. Er hatte vage vorgehabt, sie anzurufen.
Von seiner Diagnose hatte er ihnen nie etwas erzählt. Es würde mühselig sein, sie auf den neuesten Stand zu bringen, insbesondere so früh am Morgen, wenn seine Mutter im Modus MÜRRISCH und sein Vater im Modus DUMM war und keiner von beiden den Wunsch verspüren oder in der Lage sein würde, auf einen anderen Modus umzuschalten.
Sie hatten ihm ohnehin nichts zu geben, was er brauchte, dafür umso mehr davon, was er nicht haben wollte.
Falls es zum Schlimmsten kam, hatte er sie in seinem Testament großzügig bedacht. Sie würden in der Lage
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