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Racheherz - Roman

Racheherz - Roman

Titel: Racheherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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Trägheit aufgelegt und der Himmel ließ einen matten Nieselregen fallen.
    Von Zeit zu Zeit unterbrach Ryan seine Lektüre, um den Blick über den südlichen Rasen streifen zu lassen.
    Er blickte weniger oft, als er beabsichtigte, von seinem Buch auf. Wäre die vermummte Gestalt zurückgekehrt, dann hätte sie ihn eine halbe Stunde, wenn nicht länger, beobachten können, ohne dass er ihre Gegenwart wahrgenommen hätte.
    Die Geschichte, die Personen und die Prosa faszinierten ihn immer noch, doch von seiner dritten Lektüre versprach er sich mehr, als ihm jeder andere Roman hätte geben können. In der Geschichte zu sein hieß, bei Samantha zu sein und ihre Stimme zu hören, was für ihn sowohl Freude als auch Traurigkeit mit sich brachte.
    Er hoffte auch, größere Klarheit darüber zu erlangen, warum die Dinge zwischen ihnen so waren, wie sie waren. Da sie das Buch an exakt dem Tag beendet hatte, als sie von seiner Transplantation erfahren hatte, konnte Sam keinen Teil des Buches mit der Absicht geschrieben haben, ihm die Entfremdung zu erklären, und überhaupt schrieben Leute einander keine vollständigen Romane anstelle eines Briefes oder eines Anrufs. Und doch hatte er bei seiner ersten Lektüre nach nur drei Kapiteln geahnt, dass dieses Buch ihm etwas
zu enthüllen hatte, was ihr derzeitiges Verhältnis zueinander erklären würde.
    Samanthas Stimme war deutlich aus dem Roman herauszuhören; er war durchweg von ihrem Tonfall, ihrer Anmut und ihrer Sensibilität geprägt, aber er enthielt auch viele Szenen, von denen Ryan nicht geglaubt hätte, dass sie sie schreiben könnte. Sie klangen zwar nach Samantha … aber eher nach der Samantha, die sie hätte sein können, wenn es zu einigen der Erlebnisse, die ihr Leben geprägt hatten, nie gekommen wäre.
    Das gab ihm das Gefühl, sie nie vollständig gekannt zu haben. Wenn er Wert darauf legte, dass sich die Dinge zwischen ihnen wieder einrenkten, war es ein unerlässlicher erster Schritt, sein Verständnis ihrer Person zu vertiefen, und der Blick in ihr Herz, den dieser Roman bot, schien ihm mit Sicherheit dabei zu helfen.
    Kurz vor der Abenddämmerung legte Ryan das Buch beiseite, um den Rasen zu inspizieren, die Bäume und die südliche Grundstücksmauer, auf der Bougainvillea blühte und ein dorniges Hindernis für das rasche Vorankommen eines jeden Eindringlings darstellte. Kein Beobachter hielt sich draußen in der Nässe auf.
    Er stand aus dem Sessel auf und ließ die Stehlampe angeschaltet, um anzudeuten, dass er jeden Moment zurückkehren würde.
    Aus einem Fenster nahe einer Ecke des Raumes sah er hinter zwei üppigen Königinpalmen, die das Licht der Lampen an der hohen Decke von ihm fernhielten, auf die aufgeweichte Landschaft hinaus.
    Wer auch immer die Frau gewesen sein mochte - Ryan bezweifelte, dass sie schon so bald zurückkehren würde, um
auf dem Anwesen herumzuschleichen, denn sie wusste, dass er sie bei ihrem ersten Besuch gesehen hatte. Und doch waren schon seltsamere Dinge passiert.
    Jenseits des Regens und hinter den Wolken entzog die Abenddämmerung dem Himmel mit sanfter Hand das Licht und schon bald färbte die Nacht ihn schwarz. Die vermummte Gestalt ließ sich nicht blicken.

    Nach dem Abendessen zog Ryan sich in den zweiten Stock zurück und verschloss die Tür, die nur von innen wieder geöffnet werden konnte. Nicht ohne eine gewisse Beklommenheit begab er sich vom Flur der Suite geradewegs ins Schlafzimmer.
    Wie erwartet, war die Tagesdecke weggelegt und die Bettdecke zurückgeschlagen. Aber nichts war auf seinem Kissenstapel zurückgelassen worden.
    Auch wenn die Zuckerherzen ein noch so sonderbares Geschenk sein mochten, kam Ryan sich töricht vor, weil er erwartet hatte, sie könnten den Beginn einer neuen Serie von mysteriösen Vorfällen darstellen, die ihn Hals über Kopf in einen Strudel der Irrationalität stürzen würden - wie den, in dem er vor über einem Jahr versunken war. All diese bizarren Vorkommnisse hatten sich als pure Zufälle erwiesen, die ihm nur aufgrund der Auswirkungen von sauerstoffarmem Blut und später der Nebenwirkungen von Medikamenten auf sein Denkvermögen real erschienen waren.
    Er überprüfte die Türen zu den beiden Balkonen. Jede hatte ein Bolzenschloss, das von innen durch einen kleinen Drehgriff und von außen durch einen Schlüssel zu öffnen
und zu schließen war. An der Innenseite befand sich zusätzlich noch ein Riegel, den man von außen nicht erkennen konnte. Beide Schlösser an beiden

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