Racheherz - Roman
die alle nur aufforderten: SEI MEIN, würde man etliche Tüten kaufen und die Herzchen mit der gewünschten Botschaft rauspicken müssen.
Er saß auf dem Stuhl vor dem Spiegel im Badezimmer, als er den Knoten löste, die Tüte öffnete und die Herzchen auf die schwarze Granitplatte schüttete. Die, bei denen die Aufschrift nach oben wies, trugen alle den identischen Text.
Eines nach dem anderen drehte er die Herzchen um, die mit der unbeschrifteten Seite nach oben lagen, und auf jedem einzelnen kam dieselbe flehentliche Bitte zum Vorschein: SEI MEIN.
Er starrte die Herzen an - es mussten über hundert sein - und beschloss, kein einziges davon zu kosten.
Er füllte sie wieder in die Tüte, drehte das Zellophan zu und schnürte das Band fest darum.
Der erste Jahrestag seiner Transplantation musste mit Sicherheit der Anlass für dieses Geschenk sein, aber er konnte den Subtext dieses in zwei Worten ausgedrückten Gefühls nicht interpretieren. Er sollte die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Süßigkeiten ihm in aller Unschuld und mit guter Absicht geschenkt worden waren.
Er blickte von den eindringlichen roten Botschaften auf und sah sich im Spiegel an. Er vermochte seinen eigenen Gesichtsausdruck nicht zu deuten.
33
Ryan saß im Bett und las, bis er Samanthas Roman zum zweiten Mal ausgelesen hatte. Das war kurz nach zwei Uhr morgens. Er hatte nicht vorgehabt, so lange wach zu bleiben.
Ein paar Minuten lang starrte er das Foto der Autorin auf der Rückseite des Buchumschlags an. Keine Kamera konnte ihr gerecht werden.
Er legte das Buch zur Seite und lehnte sich an den Kissenberg.
In den drei Monaten, die direkt auf die Transplantation gefolgt waren, hatten ihm die Nebenwirkungen seiner achtundzwanzig Medikamente zugesetzt und ihm ab und zu auch beträchtliche Sorgen bereitet. Aber die Dosierungen wurden angepasst, ein paar Medikamente durch andere ersetzt, und danach verlief seine Genesung so gut, dass Dr. Hobb ihn »mein Superpatient« nannte.
Nach genau einem Jahr waren keine Anzeichen für die Abstoßung des Organs zu erkennen: kein ungeklärtes Schwächegefühl, keine Erschöpfung, kein Fieber, weder Schüttelfrost noch Schwindel, weder Durchfall noch Erbrechen.
Die myokardiale Biopsie blieb weiterhin der Goldstandard zum Erkennen einer Abstoßung. Zweimal im Lauf des vergangenen Jahres hatte sich Ryan als ambulanter Patient der Untersuchung unterzogen. Beide Male fanden die Pathologen keinen Hinweis auf eine Abstoßung in den Gewebeproben.
Um Bewegung zu haben, ging er viel spazieren, zahllose Kilometer. In den letzten Monaten hatte er auch begonnen, einen Heimtrainer zu benutzen und leichte Gewichte zu heben.
Er war in Form und fühlte sich fit.
Allen Anzeichen nach zu urteilen, gehörte er zu der glücklichen kleinen Minderheit, die das Herz eines Fremden in Empfang nahm und mit kaum ernsthafteren Folgen zu rechnen hatte als andere nach einer Bluttransfusion. Aus medizinischer Sicht bestand für ihn die größte Gefahr in einer erhöhten Anfälligkeit für Krankheiten aufgrund der Immunsuppressiva, auf die er angewiesen war.
Und doch hatte er auf die Wende gewartet, auf den Gezeitenwechsel, die Rotation des derzeitigen Lichts in ein unbekanntes Dunkel. Die Ereignisse, die zu der Transplantation geführt hatten, schienen noch nicht abgeschlossen zu sein.
Jetzt tauchten diese Zuckerherzen mit ihrer simplen Botschaft auf, die trotz ihrer Schlichtheit kryptisch war. Und dazu die Gestalt auf dem Rasen, im Regen.
Er dimmte die Nachttischlampe. Selbst nach einem Jahr vergleichsweiser Normalität zog er es immer noch vor, nicht in vollkommener Dunkelheit zu schlafen.
Zu seiner Suite gehörten zwei Balkone. Die Türen zu beiden waren siebeneinhalb Zentimeter dick, mit einem Stahlkern, einem Bolzenschloss und einem zusätzlichen Riegel. Wenn die Alarmanlage für die Grundstücksgrenze eingeschaltet war, ließen sie sich nicht öffnen, ohne ein Warnsignal auszulösen.
Die Haupttreppe führte vom ersten Stock zu dem Treppenabsatz vor dem Penthouse, der auch durch einen Aufzug
erreichbar war. Die Tür zwischen diesem Treppenabsatz und seiner Suite war durch einen Bolzen gesichert, der von innen verschlossen, von außen aber nicht entriegelt werden konnte.
So konnten sich Eindringlinge, falls sie sich innerhalb des Hauses versteckt hatten, wenn die Alarmanlage für die Nacht eingeschaltet wurde, keinen Zugang zu seiner Suite verschaffen.
In einem verborgenen Safe in seinem Ankleidezimmer
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