Racheherz - Roman
Überschrift zeigte das kleinere Poster eine Vergrößerung der aktuellen Liste von Bestsellern im Hardcover, die am letzten Sonntag von der New York Times Book Review veröffentlicht worden war. Unter den fünfzehn Titeln war der neunte rot umrahmt. Sam hatte es bei ihrem ersten Erscheinen auf der Liste unter die Top Ten gebracht.
»Meine Fresse«, sagte er, »das ist ja irre«, und er strahlte über das ganze Gesicht. »Der helle Wahnsinn, du hast es tatsächlich geschafft.«
Aufregung erfasste Ryan, und er versuchte sich etwas einfallen zu lassen - nicht irgendetwas, sondern das Bestmögliche -, um diesen Moment gebührend zu feiern, diesen Triumph. Aber dann wurde ihm klar, dass ihre Nennung auf der Bestsellerliste für Sam nicht wie für ihn etwas Neues war und dass sie diesen Erfolg und zweifellos auch andere bereits gefeiert hatte.
Er war zehn Minuten vor dem offiziellen Ende ihrer Signierstunde erschienen. Durch die Schaufensterscheibe der Buchhandlung sah er Menschen, die vor dem Tisch, an dem Samantha saß, Schlange standen, und er wusste, dass sie länger bleiben und nicht gehen würde, bevor sie all diese Exemplare signiert hatte.
Selbst aus der Ferne erwies sich bei Sams Anblick, dass sein neues Herz die Kapazität des alten besaß.
Plötzlich machte er sich Sorgen, sie würde aufblicken und sehen, wie er sein Gesicht an der Fensterscheibe platt drückte. Was für einen jämmerlichen Anblick er böte. Daher wandte er sich von der Buchhandlung ab.
Er spielte mit dem Gedanken, sich in seinem Wagen auf dem Parkplatz des Einkaufszentrums zu setzen und dort
eine halbe Stunde zu warten, bevor er zurückkam, doch er fürchtete, er könnte sie verpassen.
Auf der Promenade unter freiem Himmel waren vereinzelte Bänke aufgestellt, die ermatteten Besuchern Gelegenheit boten, sich zwischendurch auszuruhen, ehe sie dem Kaufrausch von neuem erlagen und sich wieder ins Getümmel stürzten. Die Bank, auf die Ryan sich setzte, wurde von riesigen Terracottatöpfen flankiert, aus denen rote Hängegeranien nach allen Seiten wucherten.
Ein paar Minuten lang versuchte er, in Samanthas Buch zu lesen, aber die Aussicht, ihr gleich zu begegnen, machte ihn so nervös, dass er sich nicht konzentrieren konnte. Und selbst bei der dritten Lektüre hatte er noch zu viel Respekt vor dem, was sie geleistet hatte - insbesondere, weil es eine dritte Lektüre verdiente -, um sich ihrem Buch mit weniger als seiner ungeteilten Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Mitten in der viermonatigen Regenzeit in Kalifornien - der Durchzug einer weiteren Schlechtwetterfront war bereits für die Nacht angekündigt - war ihnen eine kurzfristige Atempause von dem elenden Regenwetter gewährt. Ein transparenter Himmel, so hell und so glatt wie Glas, warf Reflexe silbernen Sonnenscheins auf die südliche Küste.
Ryan beobachtete kleine Vögel, die die Terrasse eines Restaurants von Krumen freihielten, Hunde zahlreicher Rassen an Leinen - die sich für alles, was sie sahen, und jeden Duft zu begeistern schienen -, einen offenen Doppelkinderwagen mit zwei rosigen Babys in gehäkelten gelben Mützen, gelbblau gemusterten Strampelanzügen und gelben Stiefelchen mit blauen Bommeln.
Für den Moment schob er die Sorgen der letzten zwei Tage von sich, freute sich des Lebens und versuchte, sich
nicht zu fragen, wie viel - oder wie wenig - davon er noch zu erwarten hatte.
Um 14.40 Uhr kam Samantha aus der Buchhandlung. Und zwar in Begleitung einer fröhlich wirkenden Frau in roten Schuhen und einem Kleid mit Schottenkaro, mit einer üppigen Mähne wippender kastanienbrauner Locken und so überzogenen Gesten, dass sie aus der Ferne wirkte, als deklamiere sie Shakespeare.
Ryans Mut sank bei der Aussicht, auf Sam zuzugehen, wenn sie in Gesellschaft einer Agentin oder Verlagslektorin war. Doch offensichtlich handelte es sich bei der wild gestikulierenden Frau um die Geschäftsführerin der Buchhandlung oder zumindest um eine Angestellte, die dort arbeitete, denn nachdem sie Sam die Hand geschüttelt, ihr zweimal auf die Schulter geklopft und einen Moment lang so getan hatte, als schwänge sie ein Lasso über ihrem Kopf, ging sie wieder in den Laden zurück.
Ohne Ryan bisher gesehen zu haben, lief Sam in seine Richtung und kramte dabei in ihrer Handtasche. Vielleicht suchte sie ihre Autoschlüssel.
Sie trug einen hervorragend geschneiderten schwarzen Hosenanzug und eine weiße Bluse mit schwarzen Biesen. Sie wirkte fit, geschmeidig, elegant und bewegte sich mit dem
Weitere Kostenlose Bücher