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Racheherz - Roman

Racheherz - Roman

Titel: Racheherz - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
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forschen Selbstbewusstsein, an dem er sie auch dann erkannt hätte, wenn er sie unerwartet aus der Ferne auf der Straße gesehen hätte.
    Als er auf sie zuging, vergaß er jede Gesprächseröffnung, die er einstudiert hatte, und brachte nur ein »Sam« heraus. Sie blickte genau in dem Moment auf, als ihre rechte Hand mit einem stacheligen Schlüsselbund aus ihrer Handtasche auftauchte.

    Sie hatten einander seit mehr als zehn Monaten nicht gesehen und seit sieben Monaten nicht mehr miteinander gesprochen.
    Er wusste nicht, wie sie reagieren würde, und er war auf ein gepresstes Lächeln oder eine schmerzliche Grimasse vorbereitet, ein paar unwillige Worte, mit denen sie ihn schroff abweisen würde.
    Stattdessen sah er etwas in ihren Augen, das ihn noch tiefer traf, als ihn Wut oder Abscheu hätten verletzen können. Vielleicht war das, was er in ihrem Blick sah, nicht direkt Mitleid, aber es kam dem zumindest nahe.
    Er war dankbar für ihr Lächeln, doch so reizend es auch war, es hatte etwas unverkennbar Melancholisches. »Ryan.«
    »Hallo, Sam.«
    »Lass dich mal ansehen. Wie geht es dir?«
    »Recht gut. Ich fühle mich gut.«
    Sie sagte: »Du siehst aus wie immer.«
    »Das würdest du nicht sagen, wenn du die gewaltige Narbe sehen könntest«, beteuerte er ihr und pochte sich auf die Brust. Er begriff sofort, dass er das Falsche gesagt hatte, und fügte daher eilig hinzu: »Ich gratuliere dir zu dem Buch.«
    Sie zog beinah schüchtern den Kopf ein. »Bisher habe ich nur bewiesen, dass ich einen einmaligen Hit landen kann.«
    »Du doch nicht. Du hast es drauf, Sam. Du arbeitest bestimmt schon an einem zweiten Roman, oder etwa nicht?«
    »Klar. Das schon.« Sie zuckte mit den Achseln. »Aber man weiß ja nie.«
    »He, Nummer neun auf der Liste.«
    »Wir haben erfahren, dass es nächste Woche auf Platz sieben geht.«

    »Das ist ja wunderbar. Du wirst es noch bis an die Spitze schaffen.«
    Sie schüttelte den Kopf. »John Grisham braucht sich keine Sorgen zu machen.«
    Er hielt das Exemplar hoch, das er mitgebracht hatte, und sagte: »Ich habe es zweimal gelesen. Ich lese es gerade ein drittes Mal. Ich wusste, dass es gut sein würde, Samantha, aber ich habe nicht damit gerechnet, dass es so …«
    Während er um Worte der Anerkennung rang, stellte er fest, dass nur das Vokabular der Surfer angemessen war, um seine Bewunderung auszudrücken.
    »… ein kolossales Ungetüm ist, das reinste Donnergrollen.«
    Die Melancholie ihres Lächelns blieb auch in ihrem leisen Lachen erhalten. »Das werden wir auf der Taschenbuchausgabe zitieren müssen.«
    Er lechzte danach, sie zu umarmen, doch er hielt sich zurück, da er nicht riskieren wollte, dass sie in seinen Armen steif zusammenzuckte oder vor ihm zurückschreckte.
    Daher steckte er seine Ziele tiefer, deutete auf die Bank, die von den Geranien flankiert wurde, und sagte: »Könnten wir uns dort ein paar Minuten hinsetzen? Ich würde gern mit dir darüber reden.«
    Er rechnete damit, dass sie einen Termin vorschieben würde, doch sie sagte: »Klar. Die Sonne scheint ja so schön.«
    Auf der Bank saßen sie einander schräg gegenüber, und während er die Seiten des Romans durch seine Finger gleiten ließ, sagte er: »Du hast mir nie etwas gezeigt, während du daran gearbeitet hast, und daher hätte ich niemals ahnen können …«
    »Solange ich schreibe, bekommt nie jemand etwas zu sehen.
Kein Mensch. Ich wünschte, ich könnte es anderen zeigen. Es ist ein einsames Arbeiten.«
    »Ich habe mir Gedanken über den Subtext gemacht.«
    »Denk nie zu viel daran. Das nimmt dem Ganzen den Zauber.«
    »Dieses Buch ist reinster Blätterteig«, sagte er.
    »Meinst du?«
    »Und wie. Tiefere Bedeutungen. Ich werde sie niemals alle erfassen.«
    »Es genügt, sie zu fühlen.«
    »Vergiss den Blätterteig.«
    »Der Vergleich krümelt ohnehin.«
    Er sagte: »Es hat eher etwas vom Meer. Thermalschichten, die sich immer weiter absenken, Schwärme von Sonnenfischen in der einen und unter den Sonnenfischen Wolken von leuchtendem Plankton, unter dem Plankton der Krill und so weiter und so fort, Licht, das durch die Schichten hinunter dringt, während gleichzeitig Schatten aufsteigen. Und irgendwo dort unten ist etwas von dir verborgen, ein geheimnisvolles anderes Du. Ich meine … eine andere Seite von dir, eine Seite, die ich nie erkannt habe.«
    Sie sagte nicht gleich etwas dazu und er glaubte schon, er hätte sie irgendwie gekränkt oder sich so kindisch angehört, dass es ihr seinetwegen

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