Racheherz - Roman
kenne niemanden, der so heißt.«
»Aber sie hat doch bei der Biopsie assistiert.«
»Ich war die einzige Krankenschwester, die bei der Untersuchung anwesend war, Mr Perry.«
»Eine Schwarze. Mit einem sehr freundlichen Gesicht. Und ungewöhnlichen dunkelgrünen Augen.«
»Ich kenne niemanden, auf den diese Beschreibung passt.«
»Könnte sie … inoffiziell assistiert haben?«
»Ich glaube, daran würde ich mich erinnern. Aber wie dem auch sei, das kommt bei uns nicht vor.«
»Aber sie war da«, beharrte er.
Seine Beharrlichkeit verunsicherte Schwester Whipset. »Und in welcher Form hat sie assistiert, was hat sie getan?«
»Als die erste Gewebeprobe entnommen wurde, hat sie mir gesagt, ich solle die Luft nicht anhalten.«
»Das war alles? Darauf hat sich ihre Mitarbeit beschränkt?«
»Nein. Sie hat auch … sie hat mir den Puls gefühlt.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nun ja, sie stand neben dem Untersuchungstisch und hat mein Handgelenk gehalten, um meinen Puls zu überprüfen.«
Mit einem Anflug von Verwirrung sagte Kyra Whipset: »Aber Sie waren während des Eingriffs doch mit einem EKG-Gerät verbunden.«
Er versuchte sich genauer zu erinnern. Die Erinnerung wollte nicht deutlicher werden.
Schwester Whipset sagte: »Sie waren mit einem EKG-Gerät verbunden und über einen Monitor konnten wir Ihre Herztätigkeit überwachen, Mr Perry.«
Ryan erinnerte sich jetzt wieder an das Fluoroskop, auf dem er das mühselige Vorankommen des Katheters beobachtet hatte, als er seiner Drosselvene bis in sein Herz folgte.
An ein EKG-Gerät konnte er sich nicht erinnern. Er konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass sie sich irrte, und er hatte keinen Grund für den Verdacht, sie könnte ihn belügen. Aber das, woran er sich anstelle des EKG-Geräts erinnerte, war Ismay Clemm.
»Nach der Untersuchung musste ich mich im Vorbereitungsraum hinlegen, um die Wirkung des Sedativums abklingen zu lassen. Sie hat mehrfach nach mir gesehen. Sie war sehr freundlich.«
»Ich habe mehrfach nach Ihnen gesehen, Mr Perry. Sie waren eingenickt.«
Während er das Porträt der Toten in dem Ringbuch anstarrte, sagte er: »Aber ich erinnere mich ganz deutlich an sie. Ismay Clemm. Ich kann ihr Gesicht noch jetzt deutlich vor mir sehen.«
»Könnten Sie mir den Namen buchstabieren?«, fragte Schwester Whipset.
Nachdem er ihn buchstabiert hatte, buchstabierte sie ihn selbst noch einmal, um sicherzugehen, dass sie es richtig notiert hatte.
»Hören Sie«, sagte sie, »ich nehme an, es ist möglich, dass sie dem Diagnoselabor während der Untersuchung einen kurzen Besuch abgestattet hat und ich zu beschäftigt war, um sie zu beachten, aber bei Ihnen hat sie offenbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen.«
»Sie hat einen bleibenden Eindruck hinterlassen«, versicherte er Kyra Whipset.
»Aufgrund des Sedativums könnte Ihre Erinnerung nicht
allzu klar sein. Ihr Gedächtnis könnte die Zeit, die sie im Raum verbracht hat, und das Maß, in dem sie an der Untersuchung beteiligt war, hochgespielt haben.«
Er widersprach ihr nicht, aber er wusste, dass es nicht so gewesen war, dass es ganz und gar nicht so gewesen war.
»So«, sagte sie, »und jetzt geben Sie mir eine Nummer, unter der ich Sie erreichen kann. Ich werde ein paar Anrufe bei Leuten im Krankenhaus machen und sehen, wer diese Frau kennt. Vielleicht gelingt es mir, herauszufinden, wie Sie Kontakt zu ihr aufnehmen können.«
Klopf-klopf-klopf: George Zane und Cathy Sienna beim Abklopfen von Wänden, beim Abklopfen von Schränken.
Ryan zog das Porträt der toten Ismay Clemm aus der Klarsichthülle in dem Ringbuch und legte es auf den Schreibtisch.
Der schärfer werdende Wind war mittlerweile ein Skalpell, das jeder unbebauten und unbewachsenen Parzelle, die es fand, die Haut abzog. Vor dem Fenster erschauerten Bäume in Wolken aus gelbem Staub, im säuregelben Licht des späten Nachmittags.
Aus dem braunen Umschlag, den er mitgebracht hatte, zog Ryan die Fotos von Teresa Reach und Lily X. Er legte sie neben das Porträt der Toten, die wie Ismay Clemm aussah.
Er war jetzt von einer Besorgnis erfüllt, die sich von ihrer Art her von jeder anderen unterschied, die er jemals zuvor verspürt hatte.
Diese Reise hatte ihn mitten aus dem Zentrum des Reichs der Vernunft, wo er sein ganzes Leben verbracht hatte, in die
Außenbezirke geführt, wo die Luft dünner war und das Licht weniger erkennen ließ. Er stand an der Grenze zwischen allem, was er je gewesen war, und einem
Weitere Kostenlose Bücher