Rachekind: Thriller (German Edition)
im Frühjahr aufgesucht hat.
Ich habe Rose gefunden, die Frau aus dem Tagebuch. Es könnte sein, dass Steve und Rose gemeinsam versuchen, mich fertigzumachen.
Ich habe herausgefunden, dass Steve hier in einem Heim gewesen ist – Grace Manor Home. Ich weiß, du hast Steve erst später kennengelernt, aber kannst du mir etwas zu diesem Heim sagen? Hat er was darüber erzählt? Es muss ziemlich schrecklich gewesen sein.
Bitte melde dich, es ist sehr wichtig.
Herzlich
Hanna
Hanna klickte auf »Senden« und stand von Georges Schreibtisch auf. Am Fenster beobachtete sie, wie Mary vor George den Gartenweg entlangfuhr. An der Art, wie sie den Rollstuhl bewegte, erkannte Hanna, dass sie noch immer böse mit George war und nur mitkam, weil ihre Nachbarin Sandra heute das alljährliche Abschiedsessen für sie gab. Im Hintergrund vernahm sie das helle Bling , mit der sich eine neue Nachricht ankündigte. Sie ging zum Computer zurück und öffnete die Mail.
Wir können uns morgen treffen, 12 Uhr. Sandy Bay.
Linus
Erleichtert schloss sie das Mailprogramm und fuhr den Computer herunter. Sandy Bay war in etwa fünfzehn Minuten mit dem Auto zu erreichen, eine Bucht zwischen Combe Martin und Ilfracombe, die beim Vorbeifahren zum Anhalten und Aussteigen einlud, um von dort einen Blick über den Bristolkanal auf das gegenüberliegende Wales zu werfen. Diesmal hatte sie keine Bedenken, Linus alleine zu treffen, im Gegenteil, nach den vielen Mails freute sie sich, ihn zu sehen, um ihm persönlich für seine Unterstützung zu danken. Sie verließ das Wohnzimmer und ging durch den Flur zur Treppe. Er war schlecht beleuchtet, und Hanna erschrak, als es hinter ihr laut knackte. Ruckartig fuhr sie herum, doch es war nichts. Nur das Knacken des Holzes, kein ungewöhnliches Geräusch in einem so alten Haus. Trotzdem konnte sie ihre Unruhe nicht mehr abschütteln. Etwas lag in der Luft. Aber sie konnte nicht beschreiben, was. Langsam ging sie weiter. An dem halbblinden Spiegel stoppte sie. Seitdem sie hier war, hatte sie den Spiegel gemieden. Hatte sie jeden Spiegel gemieden. Den Anblick von Steves zerfressenem Kopf hätte sie nicht ertragen.
Sie kniff die Augen so fest zusammen, dass weiße Sternchen durch die Schwärze flitzten, und drehte sich zum Spiegel. Wenn sie wirklich jemanden spürte, wenn Steve tatsächlich hier war, dann würde er sich jetzt zeigen. Sie öffnete die Augen und starrte ihr eigenes Spiegelbild an.
Mittwoch, 28. September
55
Das Geräusch von Schritten auf der Kiesauffahrt weckte Hanna. Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch Hanna war mit einem Schlag hellwach. Der Milchmann. Wenn sie jetzt aufstand, konnte sie eine Runde laufen, bevor Lilou aufwachte. Sie stieg aus dem Bett, leise, um Lilou nicht zu wecken, und zog ihre Trainingshose und eine warme Fleecejacke an. Auf Zehenspitzen verließ sie das kleine Gästezimmer und huschte nach unten. Sie sah auf die Uhr. Fünf nach sechs. Reichlich Zeit, um die acht Kilometer über den Campingplatz runter zum Meer, zur Promenade und über die Hauptgeschäftsstraße zurück in die ruhige Wohnsiedlung zu laufen, in der das Cottage lag. Nach einem kurzen Warm-up lief sie die Straße entlang zu dem schmalen Feldweg, der von dort bis zu dem Wohnwagenpark führte. Schon nach den ersten Schritten fühlte sie sich freier. Sie sog die salzige Luft ein, die nach Meer und Morgentau schmeckte und ihr Blut mit neuem Sauerstoff anreicherte. Sie hatte es vermisst. Das Laufen in der Natur. Von niemandem drangsaliert. Nur sie und die Straße, die ihre schnellen Schritte mit einem schmatzenden Geräusch kommentierte. Sie liebte das Laufen. Es war ehrlich. Keine Tricks. Keine Spielchen. Keine Regeln. Sie erhöhte ihr Tempo und bog in den Wohnwagenpark ein. Er lag still vor ihr. Die wenigen Gäste, die hier einen späten Urlaub verbrachten, schliefen noch in ihren spartanischen Behausungen.
Hanna konzentrierte sich auf die holprige Straße und ließ ihre Gedanken wie Pingpongbälle hin und her schießen. Martens Nachricht spukte seit gestern in ihrem Kopf. Etwas hatte sie gestört, aber sie kam nicht drauf, was die Irritation hervorgerufen hatte. Marten hatte sie vor Britt gewarnt. Sie hat gesagt, du willst nichts mehr mit mir zu tun haben … Ich glaube, sie hat vorhin deine Wohnung durchsucht … Sie spielt falsch …
Wenn Marten und Britt unter einer Decke steckten, musste Marten wissen, dass sie ihm nicht mehr vertraute. Es musste ihm klar sein, dass sie nicht auf seine
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