Rachekind: Thriller (German Edition)
Richtung geschubst und noch mehr gelacht. Und dann hat er uns zur Tür rausgeschoben, und bevor er sie zugemacht hat, hat er mich am Kragen gepackt und gesagt, vergiss nicht, wenn ihm was passiert – und er hat mit dem Kopf auf Steve gezeigt –, dann bist du dran. Linus hat genau gesehen, wie du deinen Kumpel die Kellertreppe runtergestoßen hast.
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»Ste… Steve …Warrington?«, stammelte Hanna, und sie spürte, wie die Farbe aus ihrem Gesicht wich. »Steve Warrington?«
»Überrascht dich das? Du suchst doch so eifrig nach ihm …«
Hanna versuchte ihre Fassung wiederzugewinnen. Steve Warrington. Er sah dem schmalen Jungen auf dem Foto nicht ähnlich. Oder doch? Hätte sie ihre Handtasche nicht im Auto gelassen, könnte sie jetzt das Foto herausholen und vergleichen, so musste sie sich auf ihr Gedächtnis verlassen.
»Und warum die ganze Scharade als Linus?«, fragte sie, obwohl sie die Antwort bereits kannte.
Wenn er sich seit zwanzig Jahren vor seinen Eltern versteckte, warum sollte er dann das Risiko eingehen, ihr seine wahre Identität zu offenbaren? Wenn er Steve Warrington war.
Er drehte seinen Kopf von ihr weg und starrte durch die Windschutzscheibe zu den Rauchern, die sich eine zweite Runde Zigaretten angesteckt hatten und sie weiter beobachteten. Schließlich wandte er sich wieder an sie. »Ich glaube nicht, dass ich dir das erzählen möchte.«
»Beweis mir, dass du Steve Warrington bist.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Was soll ich dir beweisen? Meinen Pass hat dein Mann.«
Sie stemmte die Hände in die Hüften.»Wer ist Luke?«
»Luke?« Er studierte sie wachsam. »Luke w er ?«
»Luke. Aus dem Heim.«
»Was geht dich Luke an?« Er stieg aufs Gas und ließ den Motor aufheulen.
Hanna fuhr zusammen. Dann überschrie sie den Motorenlärm. »Ich will wissen, was du über ihn weißt.«
Das Motorengeräusch ebbte wieder zu dem niedertourigen Tuckern des Dieselmotors ab. »Luke war mein bester Freund.«
»Du meinst, er war Toms bester Freund. Tom Baker. Das ist dein neuer Name, nicht wahr? Mein Mann hieß Tom. Er war Lukes bester Freund.«
Sie hatte anscheinend ins Schwarze getroffen. Sein Gesichtsausdruck veränderte sich. Auf der Stirn erschien eine tiefe Furche, und der Mund kräuselte sich, als würde er jeden Moment einen Wutausbruch bekommen. Hanna sah sich nach den Rauchern um. Der letzte drückte gerade seine Zigarette aus. Dann verschwand er in der Eingangstür des Pubs. Sie waren allein auf dem Parkplatz. Sie bemerkte, wie Steve ihrem Blick gefolgt war.
»Mary und George suchen seit zwanzig Jahren nach dir. Warum erlöst du sie nicht?«
»Warum sollte ich sie erlösen?« Die Zornesfalte auf der Stirn wurde noch ausgeprägter. »Ich habe einen Grund, mich von ihnen fernzuhalten.«
Hanna hakte nach: »Das muss ja ein sehr wichtiger Grund sein. Zwanzig Jahre sind eine lange Zeit. Du hast das Leben deiner Eltern zerstört, ist dir das eigentlich klar?«
»Ich? Das Leben meiner Eltern zerstört? Das ist ein Witz, oder?« Er klatschte mit den Händen auf das Lenkrad. »Wer ist hier eigentlich das Opfer? Wer war denn in dem Heim? Sie oder ich? Soll ich mich jetzt noch für meine gewalttätigen Eltern rechtfertigen?«
»Mary und George gewalttätige Eltern?«, rief Hanna aus. »Das glaube ich nicht. Nie und nimmer!«
»Ach, du warst wohl dabei, als ich ein Kind war?« Seine Stimme hatte einen harten Klang. Er stellte den Motor ab.
»Natürlich war ich nicht dabei, aber …« Aber was? Was gab ihr das Recht, seine Aussage anzuzweifeln? »Wo immer George auftaucht, wird er mit Respekt behandelt. Wie ein Held, nicht wie ein mieser Schläger.«
Er stieg aus. Hanna wich einen Schritt zurück. Seine Nähe schüchterte sie ein. Er war wirklich groß und stämmig. Hatte sehr schmale Lippen. Wie George. Aber das war die einzige Ähnlichkeit. Auch mit Mary konnte sie auf Anhieb keine Verwandtschaft erkennen. Die Nase? Marys war fein, seine viel größer, aber sie waren beide sehr gerade und vorne spitz.
»Mein Vater, der Held …« Er lachte höhnisch. »Tolle Helden, die ihre Kinder grün und blau schlagen … Aber es funktioniert. Jedes Mal. Mein Vater der Held. Ich der Lügner. Noch nach zwanzig Jahren. Das müsste dir jetzt als Antwort genügen, warum ich mich von meinen Eltern fernhalte.«
Wer glaubt schon einem Unratkind? Als hätte sie Louisas Aussage beweisen müssen. Wie kam sie dazu, seine Geschichte anzuzweifeln? Vielleicht log er. Vielleicht war dieser Hüne gar nicht
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