Rachekind: Thriller (German Edition)
bekommt. Das macht mir Angst, und ich gehe zu ihm und sage, eh, Babyfurzer, mach kein Scheiß, ja?, und er winkt nur, oder er versucht zu winken, es ist nur eine kurze Bewegung der Finger, als ob er sagen will, hör auf zu nerven, Unkraut vergeht nicht. Aber er hat unrecht. Auch Unkraut kriegt man tot. Marcus hat das immer gesagt, Unkraut vergeht nicht. Der Alte kriegt uns nicht klein. Der kann uns ummähen, so oft er will, wir stehen wieder auf. Aber Marcus ist tot. Er ist einmal zu oft umgemäht worden. Und Steve ist fertig. Ich weiß nicht, warum der Alte ihn zu mir gelegt hat, obwohl er uns zuerst getrennt hat. Nur wir beide sind in dem Zimmer. Als ob wir aussätzig wären. Der Ausbrecher und sein Freund. Macht mir nichts aus. Steve ist eh der beste Zimmergenosse, den man sich vorstellen kann. Nur heute nicht. Heute macht er mir Angst. Ich denke schon die ganze Zeit an dieses Unheil, das ich immer bei ihm gespürt habe. Ich spüre es noch immer. Es ist nicht vorbei. Da kommt noch was, und ich weiß, dass ich es nicht aufhalten kann, auch wenn ich nicht weiß, was es ist. Aber der Alte sperrt uns nicht ohne Grund ein. Und das, was er da gesagt hat, mit der Treppe und dass Linus gesehen hat, wie ich meinen Kumpel die Treppe runtergeschubst habe, das geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Was hat er damit gemeint? Was hat er vor? Ich hab Steve nicht die Treppe runtergestoßen. Das weiß er genauso gut wie ich. Und was soll ich schon mit Steve machen? Was meint er mit ich soll gut aufpassen? Auf was denn? Dass er isst? Schläft? Pinkelt? Ist doch Ehrensache, dass ich auf Steve aufpasse.
Er hat für mich gelogen. Er ist jünger als ich, und er hat mich in Schutz genommen. Ich müsste ihn beschützen, aber er hat mich beschützt. Ich glaub nicht, dass er weniger Schläge bekommen hätte, wenn er was andres erzählt hätte. Aber ich deutlich mehr. Spätestens heute hätte er sich die Aufnahme in die Clique verdient.
Clique? Welche Clique?
Es gibt keine Clique mehr.
Nur mich. Ich hätte Steve gerne in meiner Clique.
Wenn es ihm besser geht, gründen wir eine. Eine neue Clique. Das fühlt sich besser an, als zu versuchen, Luke und Marcus zu ersetzen. Nicht dass ich Luke und Marcus jetzt nicht mehr mögen würde. Aber das ist vorbei. Jetzt fängt was Neues an.
Wenn Steve wieder auf den Beinen ist.
63
Ihr Herz setzte aus.
Hanna zwang sich, tief zu atmen. Die schwarzen Fensterläden stierten sie an wie die Augen eines Drachen, der nur darauf wartete, sie mit dem nächsten Feuerstoß zu vernichten.
Vielleicht sind sie wegen des Staus früher los und haben Lilou bei Sandra gelassen. Hanna versuchte, das Rasen ihres Herzens zu bändigen, das dem Stillstand gefolgt war. Lilou ist bei Sandra. Ganz sicher. Lauf zu ihr, sieh nach.
»Hanna!« Eine Hand legte sich auf ihre Schulter.
Sie fuhr herum.
Ihre Augen weiteten sich. Sie wich zurück. »Du?«
»Mache ich dir Angst?« Ungläubiges Erstaunen wischte das Lächeln aus Martens Gesicht.
»Wo ist Lilou?«, fragte Hanna atemlos. »Wo sind Mary und George?«
»Mary und George mussten früher los«, erklärte Marten. »Auf der M4 ist ein riesiger Stau. Ich habe dich angerufen. Ich hatte angeboten, auf Lilou aufzupassen, aber sie wollten sie mir nicht anvertrauen.«
Hanna versuchte zu sprechen, doch ihre Stimme versagte.
»Lilou ist bei Sandra«, fuhr Marten fort. »Sie hat mich eingeladen, bei ihr auf dich zu warten.«
Hanna räusperte sich. »Ich will zu Lilou.«
»Was machst du hier?«, fragte Hanna Marten, nachdem sie Lilou in Empfang genommen und es sich in Sandras Wohnzimmer gemütlich gemacht hatte.
»Ich suche dich – auf meine Nachrichten antwortest du ja nicht …«
»Mein Handy war aus«, entschuldigte sich Hanna. »Apropos Nachricht – Was ist das mit George? Weißt du mehr über sein Verfahren wegen Körperverletzung?«
»Er hat einen Patrick Mahoney krankenhausreif geprügelt. Gebrochene Nase, zwei ausgeschlagene Zähne, zwei angebrochene Rippen.«
Sandra kam mit Tee und Sherry ins Wohnzimmer. »Habe ich Patrick Mahoney gehört?«
»Ich erzähle Hanna von dem Verfahren gegen George.«
»Das war eine schlimme Sache.« Sandra schenkte Tee ein. »Für George. Mahoney ist meiner Meinung nach viel zu gut weggekommen. Wusstet ihr, dass er Georges Sohn krankenhausreif geschlagen hat? Mahoney ist ein nichtsnutziger Feigling, der seinen Frust an Frauen und Kindern auslässt. Und wenn er mal was abbekommt, heult und greint er wie ein kleines Mädchen.«
Hanna
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