Rachekind: Thriller (German Edition)
bereit wärst, dein Erbe zu teilen. Er hat versucht, sie davon zu überzeugen, sich als deine Schwester zu outen und neu anzufangen. Und er hat ihr gesagt, dass er sie immer noch liebt, aber eben nicht mehr so wie früher. Natürlich hat Britt anfangs geblockt. Sie war viel zu verletzt, um darauf einzugehen. Also hat sie ihm ein Ultimatum gestellt, dir reinen Wein einzuschenken, und ihm gedroht, sonst alles zu tun, um euer Glück zu zerstören.«
Das Metall des Schlüssels quetschte sich in ihren Handballen. Sie ließ ihn los. »Hat sie etwas mit seinem Verschwinden zu tun?«
»Nein. Aber das hat sie zunächst gedacht. Er ist kurz vor Ende des Ultimatums verschwunden, und sie war sich sicher, dass er die Konfrontation mit dir gescheut hat.«
»Deshalb war sie so felsenfest davon überzeugt, dass er abgehauen ist …«
»Ganz genau. Und deshalb hatte sie auch ein schlechtes Gewissen. Vor allem nach dem, was mit Lilou passiert ist. Immerhin ist sie ihre Nichte. Abgesehen davon haben seine Worte sie neugierig gemacht. Jahrelang hat sie dich als Feindbild aufgebaut, und jetzt erzählt er ihr, dass du nach ihr gesucht hast, um alles mit ihr zu teilen. Deshalb hat sie den Kontakt zu dir gesucht. Sie wollte sich selbst ein Bild machen.«
»Sie hat mich oft im Treppenhaus angesprochen«, bestätigte Hanna seine Worte. »Manchmal dachte ich, sie wartet hinter der Tür darauf, dass ich die Treppen runtergehe …«
»Als Steve, ich meine Tom, dann weg war und Lilou im Krankenhaus, hat sie sich furchtbar gefühlt und versucht, dir zu helfen. Jetzt konnte sie natürlich nicht mehr sagen, wer sie war und dass sie Steve unter Druck gesetzt hat, dich zu verlassen. Erst recht nicht, als du den Skarabäus und den Brief gefunden hast. Als dann Lilou fast entführt wurde, dachte sie, Steve könnte einen Kumpel geschickt haben, um Lilou zu holen. Und dann bist du aus England zurückgekommen, und Steve war gar nicht Steve, und die Geschichte mit Rob kam ans Licht. Da hat sie angefangen, sich Sorgen um seine und auch deine Sicherheit zu machen. Sie wollte dir mehrmals die Wahrheit sagen, aber sie sagt, du hättest sie gemieden und seist abweisend gewesen, und sie hat einfach nie den richtigen Zeitpunkt gefunden.«
»Ich habe alle gemieden.«
»Ich weiß. Und das war dein gutes Recht. Du hast diese Zeit für dich gebraucht.«
Hanna nickte stumm. Es erklärte einiges. Britts vehementes Beharren, dass Tom sie verlassen hatte, ihre Hilfsbereitschaft, als sie mit Lilou im Krankenhaus war, ihre Suche nach Nähe und gleichzeitig ihre Pampigkeit, wenn Hanna über ihre Kindheit sprach, ihre Reaktion auf den Skarabäus, ihre Verschwiegenheit, wenn es um ihre verlorene Liebe ging, ihr Interesse an den Fotos, ihr liebevoller Umgang mit Lilou … Sie versuchte, die neuen Informationen in ihrem Gehirn zu ordnen, miteinander zu verknüpfen, zu begreifen, dass Tom sie trotz all der Lügen tatsächlich geliebt und sich ihretwegen von seiner Rose getrennt hatte, dass Rose Britt und Britt die Schwester war, die sie so lange gesucht hatte und von der sie jetzt nicht mehr wusste, ob sie sie je wiedersehen wollte.
»Wie bist du auf Britt gekommen?«, fragte sie schließlich.
»Ich habe im Umfeld deines Vaters geforscht. Vergiss nicht, ich bin professioneller Schnüffler.« Er nahm die Hand von Lilous Kopf und tippte mit dem Zeigefinger an seine Nase. »Obwohl ich zugeben muss, es war wirklich eine harte Nuss. Und die Spesen sind auch etwas in die Höhe geschossen – merk dir eines: Jede Information hat ihren Preis.«
Plötzlich richtete Lilou sich in Martens Arm auf, als hätte sie nur auf den richtigen Moment gewartet, um ihr Gespräch zu unterbrechen.
»Om da!« Sie deutete in den Wald. Marten legte die Hand auf ihren Rücken, um sie aufrecht zu halten.
»Mama mit!« Lilou wand sich und zappelte. »Unta.«
»Du sollst sie absetzen.«
Behutsam stellte Marten sie auf den unebenen Waldboden.
»Mama mit.« Sie lief drei Schritte auf den Wald zu, drehte sich dann um und winkte Hanna zu sich. »Om da!«
»Wir sollen mitkommen.« Hanna beobachtete Lilou. Unruhe erfasste sie und verdrängte die ungeheuerlichen Neuigkeiten, die sie eben noch beschäftigt hatten.
Sie dachte an den Spinnenzoo im Hotel und an Lilous Fixierung auf Spinnen. Sie dachte an den Besuch bei Ariane und Stevies Schal.
Zwei fremde Einflüsse … Ich spüre ihren Vater … Ich glaube, Steve ist tot … Koexistenz … So viel Wut, so viel Hass …
Alles passte plötzlich
Weitere Kostenlose Bücher