Rachekind: Thriller (German Edition)
skelettierter Kopf, der sie fies angrinste und dazu höhnisch lachte. Mit einem Schrei knallte sie den Deckel zu und presste ihre Hand darauf, als könnte er von selbst wieder aufspringen.
Hektisch sah sie sich nach Lilou um. Kein Laut. Kein Gebrabbel. Keine Füße, die über den Holzboden patschten. Panische Angst, wie sie sie seit dem Atemstillstand so oft heimsuchte, überfiel sie.
Dann entdeckte sie Lilou auf dem Boden neben dem Sofa. Ihre Hand auf der Maus, mit der sie wahllos Kreise über den Teppich zog. Hanna atmete hörbar aus.
»Du hast Nerven!« Sie ging zu Lilou und nahm ihr die Maus ab. Ohne zu protestieren, blieb Lilou sitzen, legte den Kopf schief und begann wieder zu plappern. Hanna beugte sich zu ihr und strich ihr über die Locken. »Sollen wir ein Buch zusammen lesen?«
Lilou schüttelte den Kopf und brabbelte weiter vor sich hin, als würde sie eine großartige Geschichte erzählen. Hanna ließ ihren Blick einen Moment auf ihr verweilen, dann setzte sie sich zurück aufs Sofa und zog den Laptop auf ihre Oberschenkel.
Egal was andere dachten oder sagten, es musste einen Grund für Steves Verschwinden geben. Einen, der so schrecklich war, dass er sie durch sein Verschwinden vielleicht zu schützen versuchte. Die vertauschten Sets fielen ihr ein. Vielleicht war Steve in der Wohnung gewesen. Vielleicht hatte er das Set mit dem Gnom obenauf gelegt, um ihr einen Hinweis zu geben. Er wüsste, dass es ihr sofort auffiele. Dass sie Dinge immer an den gleichen Ort zurücklegte. Dass sie pedantisch darauf achtete, die etablierte Ordnung eines Systems aufrechtzuerhalten. Und was soll dir ein Gnom mit Zwergenmütze sagen? Sie klappte den Laptop auf. Die Gruselseite wirkte auf einmal viel harmloser. Das Lachen war verstummt, und der Kopf hatte aufgehört zu grinsen. Ein blinkendes Dreieck bot an, den Kopf wieder lachen zu lassen.
Hanna schloss die Internetseiten, die Lilou bei ihrem Spiel mit der Maus wahllos geöffnet hatte, und rief Steves Mailaccount auf. Erfolglos versuchte sie verschiedene Begriffe als Passwort und holte schließlich sein Notizbuch aus dem Arbeitszimmer.
Wieder im Flur sah sie, dass Lilou das Wohnzimmer verlassen hatte und jetzt die unterste Schublade der schmalen Kommode ausräumte. Ihre Lieblingsschublade. Die Zunge zwischen den Lippen stöberte sie durch den Inhalt. Handschuhe, Mützen und Schals flogen links und rechts von ihr auf den Boden, manche blieben an der Schublade hängen und wurden mit einem energischen Ziehen auf die Dielen befördert. Hanna wusste, dass Lilou jetzt darauf wartete, dass sie ihr die Mützen aufsetzte und mit ihr Verstecken spielte. Sie ging neben ihr in die Hocke, hob ihre Laufmütze vom Boden auf und setzte sie Lilou so auf den Kopf, dass sie die Augen bedeckte.
»Kuckuck.«
Mit einem Ruck zog sie die Mütze vom Kopf und wartete auf Lilous Klatschen und Kichern. Doch Lilou grapschte nur nach der Mütze und warf sie in die Schublade zurück, als sei sie viel zu alt für solch ein albernes Spiel. Als hätte Lilou sie gemaßregelt, kauerte Hanna betroffen neben ihr. Unschlüssig, wie sie reagieren sollte, ergriff sie den Schal, den Lilou aus dem Chaos neben sich gefischt hatte und ihr reichte.
»Da!«
»Danke, Püppchen.« Hanna nahm Steves Fanschal in Empfang. Rot-weiß gestreift, an beiden Enden das Wappen mit der Standkanone, über dem Wappen der Schriftzug Arsenal und darunter der Name Steve eingearbeitet. Steves Großmutter hatte ihn gestrickt, als er ein Junge war. Er war abgetragen und voller Wollflusen, das Weiß schon eher ein schmutziges Grau, aber Steve würde sich niemals davon trennen. Als würde der Schal sie magisch anziehen, konnte sie ihren Blick nicht mehr von ihm lösen. Arsenal.
Das konnte es sein. Das Passwort.
Ihre Vermutung war richtig gewesen. Arsenal – eigentlich naheliegend. Und doch, hätte Lilou nicht mit dem Schal gespielt, würde sie wahrscheinlich noch immer rätseln. Hanna blickte zufrieden auf den Posteingang von Steves Mailaccount und überflog die Nachrichten. Die meisten waren von seinen Kumpels aus dem Sportverein. Viele waren keine zwei Sätze lang – ein kurzes »ja, komme auch« oder »vergiss den Pokerabend nicht«.
Nachdem sie den Ordner »Freunde« durchhatte, machte sie eine Pause, um nach Lilou zu sehen. Sie schlief auf Steves Bettseite, in Rückenlage, die Arme kerzengerade neben sich ausgestreckt. Genau wie Steve , ging es Hanna durch den Kopf, und ein eigentümliches Gefühl erfasste sie, als
Weitere Kostenlose Bücher