Rachekind: Thriller (German Edition)
Schiss hast? Das ist doch schizo!«
Hanna verkniff sich eine Antwort. Sie konnte Britts Ärger sogar nachvollziehen. Zumal es gar nicht nötig war, ihr die Information über Rob vorzuenthalten, schließlich wusste sie ohnehin Bescheid. Trotzdem konnte sie nicht einfach so umschalten. Es war ihr natürlicher Reflex, Informationen zurückzuhalten, genau zu selektieren, welche man preisgab und welche man besser für sich behielt.
»Ich glaube, Rob beschattet mich«, sagte Hanna schließlich in die angespannte Stille. »Da war ein Typ im Eingang gegenüber. Er war gestern auch schon dort. Als ob er meine Wohnung beobachtet.«
»Der mit der Kapuze? Ich weiß nicht … Fandest du den verdächtig? Der hat letzte Woche auch schon dort gestanden. Ich dachte, der wartet auf seine Freundin.« Britt legte einen Finger an die Lippen, als denke sie intensiv nach. »Aber wenn du Rob als Gefahr siehst, solltest du dir überlegen, ob du nicht dich und Lilou aus der Schusslinie bringen solltest. Kannst du nicht ein paar Wochen irgendwo unterschlüpfen? Bei deinen Eltern?«
»Das geht nicht.« Hanna nahm ihr Glas und trank den Rest Wein in einem Zug. »Für meine Eltern bin ich bereits gestorben.«
Kreischen. Immer lauter. Immer angstvoller.
Kinderstimmen. Ganz deutlich. Kinderstimmen.
Trampeln. Schnelle Schritte. Laufen. Stolpern. Schreien. Aufrappeln. Weiterrennen.
Die Umrisse kommen näher. Lösen sich aus der Schwärze des Schlunds, dem sie zu entrinnen versuchen, und verwandeln sich in eine Armee von Spinnen.
Sie liegt am Boden. Sieht die großen Körper. Die kleinen Köpfe. Die schwarzen Augen. Auf sie gerichtet. Böse. Starr.
Das schnelle Trappeln der staksigen Beine. Viel zu laut. Es müssen Tausende sein. Sie hat Angst. Will aufstehen. Kämpft. Ihre Beine versagen.
Die Spinnen erreichen sie. Große, haarige Spinnen.
Sie schreit.
Schreckt hoch.
Mit einem Stöhnen öffnete Hanna die Augen. Wieder der gleiche Albtraum. Ohne auf die Leuchtanzeige des Radioweckers zu schauen, wusste sie, wie spät es war. Drei Uhr dreiundvierzig. Jede Nacht. Drei Uhr dreiundvierzig. Sie wälzte sich zur anderen Seite hinüber und lauschte auf Lilous gleichmäßige Atemzüge. Alles normal. Sie drehte sich zurück und drückte die Nase in Steves Shirt, schloss die Augen und sog den noch schwach vorhandenen Duft seines Rasierwassers ein.
Ich habe vor dir keinen Mann gekannt, der sich vor dem Schlafengehen rasiert.
Ich fahre zärtlich über die glatte Wange.
Dann hast du bei der Auswahl deiner Männer ziemlich geschlampt.
Er schmiegt sich an mich.
Der einzige Mensch auf dieser Welt, dem ich gefallen möchte, steht nun mal auf glatt rasierte Männergesichter.
Ich würde dich auch unrasiert nehmen.
Ich weiß.
Er beißt mich neckisch in den Hals, dann wandern seine Lippen meinen Körper entlang.
Aber du würdest es weniger genießen, wenn ich an dir herumknabbere. Ich liebe dich, Hanna, mehr als mein eigenes Leben. Vergiss das nie.
Sie hörte seine Stimme so deutlich, als läge er neben ihr und hauchte ihr die Worte ins Ohr. Es war ihr, als könnte sie ihn spüren, die Hitze, die von seinem Körper ausging, die Arme, die sich jeden Moment um sie schlingen mussten. Sie streckte ihre Hand aus, um ihn zu berühren, und ertastete Lilous Schlafsack.
Ich liebe dich, Hanna, mehr als mein eigenes Leben.
Warum hatte er sich ihr dann nicht anvertraut? Was war das für eine Liebe, wenn er so elementare Geheimnisse vor ihr hatte, dass er sich erpressbar machte? Alles leere Worte?
Sie erhob sich leise und schlurfte müde ins Wohnzimmer. Als sie sich in Steves Sessel setzte, glaubte sie einen Luftzug lang, Steve riechen zu können. Allerdings war sein Duft jetzt vermengt mit Spuren von Britts Parfum. Wieder spürte sie seine Anwesenheit, glaubte seine Stimme zu hören, die ihr verführerisch ins Ohr säuselte. Ich liebe dich. Vergiss das nie. Hektisch sah sie sich um. Eine Gänsehaut überzog ihre Arme. Hastig sprang sie auf und lief in die Küche. Sie füllte den Wasserkocher. Eine Tasse heißer Tee mit Rum. Danach würde sie vielleicht wieder schlafen können. Sie öffnete den Schrank und suchte nach dem großen Engelbecher, den Steve ihr aus Berlin mitgebracht hatte. Er stand in der hinteren Reihe, und sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um nach hinten zu langen, als ihr Lilous Kinderteller ins Auge fiel. Anstatt nach der Tasse zu greifen, holte sie den Teller aus dem Schrank und starrte ihn ungläubig an. Der Teller gehörte in die
Weitere Kostenlose Bücher