Rachekind: Thriller (German Edition)
nicht davon erfuhr. Hatte er eine zweite Familie? Führte er ein Doppelleben? So etwas hörte man doch immer wieder. Oder war er ein Betrüger? Ein Dieb? Steckte hinter dem liebevollen und romantischen Mann, den sie geheiratet hatte, ein Verbrecher?
Undenkbar.
Alles an ihm wirkte zutiefst aufrichtig.
Seine Liebe.
Seine Sorge um sie während der Schwangerschaft.
Seine Zärtlichkeit für Lilou.
Er hätte das unmöglich vortäuschen können. Und doch hatte er etwas vor ihr verborgen. Und jetzt war er verschwunden. Hatte er Rob das Geld gegeben? Sie schauderte. Falls nicht, würde Rob es sich von ihr holen?
Feiner Nieselregen setzte ein, als Hanna in die inzwischen menschenleere Annastraße bog. Ihre Schritte hallten auf den nassen Pflastersteinen, und sie glaubte ein leises Echo zu hören, jedoch nicht das Klack-Klack ihrer Absätze, sondern ein raues Knarzen, wie sie es von Steves Stiefeln kannte. Nervös sah sie sich um. War da ein Schatten? Sie beschleunigte ihren Schritt. Der Mann mit der Kapuze aus dem Hauseingang gegenüber fiel ihr wieder ein. Robs Brief. Hatten rote Haare unter der Kapuze gesteckt? Sie begann zu laufen, schneller und schneller. Endlich erreichte sie keuchend die Haustür. Sie sperrte sie in Sekundenschnelle auf und warf sich dann von innen dagegen.
9
Schwer atmend ließ sich Hanna auf das Sofa fallen. Sie griff nach einem der flauschigen Kissen und drückte es an sich, um das Zittern ihrer Hände zu verbergen. Britt sah von ihrem Buch auf.
»Bist du gerannt?« Sie legte das Buch auf die Armlehne von Steves Lieblingssessel und musterte sie besorgt. »Ist was passiert?«
»Ich wollte nicht nass werden«, antwortete Hanna ausweichend und heftete ihre Augen auf den Tisch. Neben Laptop und Babyfon standen eine Flasche Rotwein, ein Glas Wasser und ein Glas Wein. Mit einem Mal kam Hanna ihre Angst völlig lächerlich vor. Rob hatte Steve gedroht, ihr etwas zu enthüllen, wenn Steve nicht bezahlte. Er war keine Bedrohung für sie, im Gegenteil, er brauchte sie, damit sein Erpressermodell funktionierte. Sie spürte, wie das Zittern nachließ, und stand auf. »Ich schau kurz nach Lilou.«
Als sie zurückkam, war Britt erneut in ihre Lektüre vertieft. Hanna setzte sich und versuchte, den Titel des Buches zu entziffern. Ein esoterischer Beziehungsratgeber. Sie legte das Kissen zur Seite und angelte sich Steves Fanschal, der neben ihr auf dem Sofa lag. »Ist Lilou zwischendurch aufgewacht?«
Britt legte das Buch zur Seite. »Nein, ich habe ein paarmal nach ihr gesehen, alles ruhig.«
Hanna blickte verwundert von dem Schal auf. Wenn Lilou nicht damit gespielt hatte, warum lag er dann hier? »Hast du den Schal aus der Schublade geholt?«
Britt schüttelte den Kopf. »Warum sollte ich?«
»Egal, ich werde wohl immer zerstreuter.« Sie seufzte und begann die Flusen vom Schal zu zupfen. Steve hasste es, wenn sie das tat. Er behauptete immer, irgendwann wäre vor lauter Flusenzupfen nichts mehr von dem Schal übrig.
»Hast du etwas erfahren?«
Hanna legte den Schal weg, holte sich ein Weinglas und kehrte an ihren Platz zurück. »Steve hat sich vor ein paar Wochen mit einer Frau getroffen. Und die soll ziemlich unglücklich gewesen sein.«
Hanna goss das Glas halb voll. Sie hielt es unter ihre Nase und sog den Duft nach Waldbeeren ein.
Britt beugte sich im Sessel vor. »Weißt du mit wem?«
»Nein. Dunkelhaarig. Mehr weiß ich nicht.«
Britt lehnte sich wieder zurück.
»Und dieser Rob soll ziemlich übel sein.« Hanna schwenkte den Wein im Glas, und ihr Blick folgte den Schlieren. Dann trank sie das Glas zur Hälfte aus und stellte es neben die Flasche.
»Nun, jemand, der andere erpresst, ist immer ziemlich übel«, warf Britt ein. »Finde ich zumindest.« Sie verengte die Augen zu Schlitzen und legte ihren Kopf schief.
Hanna begann sich unter ihrem Blick unwohl zu fühlen und griff erneut nach ihrem Weinglas. Ohne zu trinken, stellte sie es wieder ab. Noch einen Schluck, und sie würde nicht mehr schlafen können.
»Bist du deshalb vorhin gerannt? Weil du Angst hattest?«
Hanna nickte.
»Warum erzählst du mir dann was von Regen? Hey, ist das in höheren Kreisen so üblich, oder was?« Britts Stirn legte sich in Falten. »Ich glaube, du brauchst mal Nachhilfe in Grundregeln einer Freundschaft.«
»Jetzt reg dich nicht gleich so auf. Außerdem hat es wirklich geregnet.«
»Es geht ums Prinzip. Das mit dem Regen war gelogen. Du vertraust mir deine Tochter an, aber nicht, dass du
Weitere Kostenlose Bücher