Rachekind: Thriller (German Edition)
wahrzunehmen, was sie auf den Seiten sah. Kurz darauf kam Britt mit einer Tasse dampfenden Tee und Lilous Brot. Sie stellte den Teller neben Lilou ab, und Lilou stürzte sich gierig auf die Wurstbrotecken.
»Was hast du gesehen?«, fragte Britt und setzte sich in Steves Sessel.
Hanna schüttelte es. Das Bild im Spiegel erschien vor ihren Augen. Das Blut … Sein Gesicht … Sie umklammerte ihren Anhänger und zog so fest daran, dass die Kette in die Haut am Hals schnitt.
»Steve«, flüsterte Hanna. »Er hat … Er war voller Blut.«
»Wo denn? Ich bin mit Lilou durch die Wohnung gelaufen, um sie zu beruhigen, ich hätte ihn doch sehen müssen.«
»Im Spiegel.« Wieder musste Hanna sich schütteln. Seine Augen. Sie hatten nicht sie angestarrt, sie hatten ins Leere gestarrt. Ohne Glanz. Wie tot.
»Hanna, hörst du mir zu?« Britt zerrte an Hannas Händen. »Steve ist nicht hier, und er war auch nicht hier. Er hätte mir im Treppenhaus begegnen müssen. Als ich deinen Schrei gehört habe, bin ich sofort aus der Wohnung raus. Ich hab mir deinen Schlüssel geschnappt und bin nach oben. Ich hätte ihn sehen müssen.«
Hanna zog ihre Hände zurück und verbarg ihr Gesicht darin. Natürlich hatte sie ihn nicht in der Wohnung angetroffen. Er war nicht real da gewesen. Nur in ihrer Einbildung. Begann es so, wenn man verrückt wurde? Hat es so bei dir angefangen, Oma Wilmi? Erst hast du ihn gespürt, dann gehört und schließlich gesehen? Nein! Sie war übermüdet. Ihre Nerven waren überreizt. Sie hatte halluziniert, was sie am meisten befürchtete: dass Steve etwas zugestoßen war.
»Ich habe Angst, Britt.«
Britt zog ihr die Hände vom Gesicht und zwang Hanna, sie anzusehen. »Wovor hast du Angst? Vor Steve?«
»Ich bin so müde. Was soll denn mit Lilou werden, wenn ich zusammenbreche?«
»Du brichst nicht zusammen.« Britt drückte Hannas Hände, als wollte sie ihr Kraft schenken. »Schläft Lilou noch immer in deinem Bett?«
Hanna nickte. »Ich traue mich nicht, sie die ganze Nacht alleine zu lassen.«
»Du hältst dich an ihr fest«, korrigierte Britt sie. »Und die Spinnen in deinem Traum sagen dir, dass du loslassen musst. Wenn Lilou in deinem Bett schläft, bist du nur am Aufpassen. Du brauchst deinen Schlaf, so geht es nicht weiter.«
Wie einfach sich das anhörte. Als ob sie sich freiwillig die Nächte um die Ohren schlug.
»Er hat es heute wieder versucht.«
»Wer hat was versucht?« Britt fuhr sich ungeduldig über die Haare und strich eine lose Strähne hinter das Ohr. Hanna fiel plötzlich auf, dass Britt sie heute nicht hochtoupiert, sondern zu einem kunstvoll geflochtenen Zopf gebunden hatte. Er stand ihr viel besser. Hanna bemerkte, wie hübsch sie eigentlich war.
»Hanna? Wer hat was versucht?«
»Ein Mann hat sich als Lilous Onkel ausgegeben und wollte sie von der Krippe abholen.«
»Nein! Meinst du, es war der Typ vom Spielplatz?«
»Ja. Die Polizei denkt das auch. Sie leiten jetzt eine Fahndung nach Steve ein.«
Britt schauderte. »O Mann, das ist echt gruselig. Kein Wunder, dass du vorhin so ausgetickt bist. Ich würde auch den Koller bekommen.«
Hanna schluckte. Koller bekommen. Wirst du unfähig, für deine Tochter zu sorgen?
»Lilou muss ins Bett. Es ist schon viel zu spät für sie.« Hanna stand auf und nahm Lilou hoch. »Danke, dass du gekommen bist.«
»Weißt du was?« Britt erhob sich ebenfalls und stemmte die Hände in die Hüfte. »Ich gehe jetzt und hole mir meine Schlafsachen, und dann bleibe ich heute Nacht bei dir. Ich schlafe bei Lilou im Zimmer, und du schläfst allein in deinem Bett. Und morgen sehen wir, ob du noch immer Albträume hast, okay?«
19
Vor sich ein Glas Wein lümmelte Britt mit ihrem Beziehungsratgeber in Steves Sessel, als Hanna das Wohnzimmer betrat. Steves starrer Blick im Spiegel drängte sich vor Hannas Augen, und sie kniff sie heftig zusammen, um das Bild zu vertreiben. Viel zu hart stellte sie das Babyfon ab und holte dann die Schatulle aus ihrer Handtasche und den daumennagelgroßen Schlüssel vom Regal. Mit einem Seufzen ließ sie sich auf das Sofa fallen.
»Sie schläft.«
Britt legte ihr Buch zur Seite. Ihr Blick war ungewöhnlich ernst. »Du glaubst wirklich, dieser Rob hat seine Finger im Spiel?«
»Das erscheint mir plausibel. Er will Geld, und Steve ist verschwunden. Jetzt braucht er ein neues Druckmittel. Wenn er Steve nicht mit mir erpressen kann, dann mich mit Lilou.« Hanna legte die Schatulle auf ihrem Schoß ab. »Wenn ich
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