Rachekind: Thriller (German Edition)
nur wüsste, womit genau er Steve erpresst hatte. Da sind natürlich die fünfundachtzigtausend Euro, die Steve ins Geschäft gesteckt hat. Aber wenn er die geklaut hat, warum zieht er dann jeden Monat Geld aus der Firma?«
»Vielleicht wollte er es zurückzahlen?«
»Möglich«, sagte Hanna. »Aber dieser Rob will noch was anderes. Etwas muss in dieser Wohnung sein, das er so dringend braucht, dass er hier alle Schubladen und Schränke durchgegangen ist.«
»Er war in der Wohnung?« Britt riss erschrocken die Augen auf.
»Jemand war hier. Mit Steves Schlüssel. Und ich glaube nicht, dass es Steve war. Warum sollte er die Kommode durchsuchen?«
»Das heißt, Rob kann hier jederzeit einfach reinmarschieren?« Hektisch drehte sie ihren Kopf zur Wohnzimmertür, als stünde dort bereits der Eindringling.
»Ich habe das Schloss ausgetauscht. Deshalb hattest du den neuen Schlüssel im Briefkasten.«
»Ich hatte mich schon gewundert.«
»Das Schlimmste ist für mich die Frage, wie Rob an Steves Schlüssel gekommen ist. Steve wird ihn nicht freiwillig hergegeben haben.« Hanna steckte den kleinen Schlüssel in das Schloss der Schatulle. Er passte perfekt. »Die habe ich heute im Büro gefunden.«
Britt nahm die Rotweinflasche und schenkte beide Gläser zur Hälfte voll. »Was ist drin?«
»Das werden wir gleich sehen.«
Hanna drehte den Schlüssel um, und die Schatulle sprang auf. Sie griff hinein und breitete den Inhalt auf dem Wohnzimmertisch aus. Sieben Fotos, ein Schmucksäckchen und ein mehrmals zusammengefalteter Brief kamen hervor. Die Fotos mussten ziemlich alt sein. Hanna erkannte Steve sofort. Auf einem der Fotos war er allein abgebildet, sie schätzte ihn auf zehn bis zwölf Jahre, im Hintergrund ein großes, altes Gebäude, umgeben von mächtigen Bäumen und einer hohen Steinmauer. Von den Fensterläden blätterte die Farbe ab, und einige Fensterscheiben hatten einen Sprung. Auf drei der Fotos posierte Steve mit einer Fußballmannschaft vor dem Tor eines Fußballfeldes, er stand immer in der hintersten Reihe, und trotz wechselnder Frisuren brauchte Hanna nur jeweils Sekunden, um ihn zu identifizieren. Die Fotos waren in drei aufeinanderfolgenden Jahren aufgenommen worden und hatten die Jahresangabe auf einer kleinen Schiefertafel vermerkt, die ein Spieler stolz präsentierte. Hanna rechnete nach. Steve war auf dem letzten Foto vierzehn Jahre alt gewesen. Sie schaute es genauer an. Er wirkte älter, aber vielleicht lag das auch an der Frisur. Anhand seines Haarschnitts nahm Hanna an, dass die nächsten zwei Bilder im selben Jahr aufgenommen worden waren. Das eine zeigte Steve mit einem anderen Jungen, etwas kleiner und schmächtiger, vor dem Stamm einer gefällten Eiche. Auf dem anderen lehnte Steve mit zwei Jungen an einer hohen Mauer. Einer der Jungen hielt seine Hand über Steves Kopf und machte ihm Eselsohren, alle drei hatten eine Zigarette zwischen den Lippen. Auf dem letzten Bild waren wieder nur zwei Personen abgebildet, Steve, jetzt deutlich älter, vielleicht Mitte zwanzig, die Haare kürzer, nur die Zigarette hing noch im gleichen Winkel von den Lippen, und ein rothaariger Mann, etwa im gleichen Alter oder etwas älter. Hanna hielt den Atem an. Rote Haare. Sie hielt Britt das Bild hin.
»Glaubst du, das könnte Rob sein?«
Britt pickte das Foto mit ihren langen Fingernägeln von der Tischplatte. »Rote Haare sind in England ziemlich verbreitet.« Sie drehte das Foto um. »Schade. Keine Beschriftung.«
»Beschriftung?«, höhnte Hanna. »Das wirst du nicht erleben, dass Steve ein Foto ordentlich beschriftet.«
»Das Foto, wo sie zu dritt rauchen, ist beschriftet«, wandte Britt ein.
»Was?« Hanna schnappte sich das Gruppenfoto und drehte es um. Tatsächlich. Der Raucherclub – einer für alle, alle für einen – Luke. Sie studierte die fein säuberliche, aber etwas ungelenke Schrift auf dem Fotopapier. Definitiv nicht Steves Schrift, außer sein Schriftbild hätte sich völlig verändert, als er älter wurde. »Woher wusstest du das?«
»Ich habe gesehen, dass etwas daraufstand, als du die Fotos aus der Schachtel genommen und ausgebreitet hast«, sagte Britt, und wie zum Beweis hob sie eines der Fotos mit der Rückseite zu Hanna gewandt hoch und legte es dann wieder auf den Tisch.
Hanna schob die Fotos auf einen Haufen und griff nach dem Schmucksäckchen. Neugierig zog sie an der Schleife der Schnur, die das obere Ende zusammenhielt, und schüttete dann den Inhalt des Säckchens auf
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