Rachekind: Thriller (German Edition)
Bärenfell und den Rosen und den Postern auch nur erfunden, so wie manche hier den reichen Vater in Amerika.
Sonntag, 12. Juni
22
Hanna steuerte mit einer Hand den Buggy durch die Menschenmenge am Bahnsteig und zog mit der anderen den großen Reisekoffer hinter sich her. Italien war eine gute Wahl gewesen, aber es war auch schön, wieder nach Hause zurückzukehren. Sie schnupperte und roch den unvergleichbaren Mix an Düften, der Aachen so besonders machte. Guten Tag, Aachen! , dachte sie mit dem Enthusiasmus der Heimkehrenden und verstand zum ersten Mal, warum Oma Wilmi noch nach so vielen Jahren ins Schwelgen gekommen war, wenn sie über ihre Geburtsstadt gesprochen hatte.
In Rapallo hatte sie die Wärme genossen, das Hotel mit dem wunderbaren Kinderpool, in dem Lilou und sie viel Zeit verbracht hatten. Vor allem aber hatte der Schlaf ihr gutgetan. Zwei Wochen lang keine Albträume. Keine kreischenden Kinderstimmen, kein panisches Getrampel, keine Spinnen, die sie aus ihrem Schlaf schrecken ließen. Sie hatte Ruhe gehabt, um über Steve nachzudenken. Über Steve und sie selbst. Es würde nie wieder sein wie früher.
Manchmal hatte es Momente gegeben, in denen sie kurz davor gewesen war, ihre Eltern anzurufen und sie um ein Wiedersehen zu bitten. Jetzt, wo Steve nicht mehr zwischen ihnen stand. Nur eines hatte sie zurückgehalten: Der leise Zweifel, der seit dem Gespräch mit Stein regelmäßig hochploppte wie eine Boje, und die Frage, ob ihre Eltern etwas mit dem jähen Ende ihres Glücks zu tun hatten, immer lauter werden ließ.
Am Ende des Gleises wartete Stein auf sie. Sie freute sich, ihn zu sehen. Er lehnte lässig an einem Pfeiler und beobachtete die Menschen um sich herum, während die Gebetskette unaufhörlich um seinen Finger kreiste. Als er sie bemerkte, lächelte er und kam auf sie zu.
»Gut sehen Sie aus! Richtig erholt!« Er nahm ihren Koffer. »Geben Sie mir das.«
»Danke«, sagte Hanna, froh, mit beiden Händen den Buggy schieben zu können.
»Ich dachte, wir essen hier ums Eck eine Kleinigkeit, dann kann ich Ihnen erzählen, wo wir stehen.« Mit einem Seitenblick auf Lilou fügte er hinzu: »Oder wollen Sie lieber nach Hause?«
»Sind wir dort sicher?«
Steins Lächeln verschwand. »Die Kamera und die Wanze, die jemand dort installiert hat, habe ich zwar entfernt, gelöst habe ich Ihre Probleme aber noch nicht.«
Lilou schlief noch immer, als der Ober die Getränke abstellte. Stein schob Hanna ihre Apfelschorle über den Tisch und nahm sich die Fanta. Die Kneipe war selbst am helllichten Tag dunkel und roch, als sei schon länger nicht mehr gelüftet worden. Stein hatte sie zielstrebig zu einem Tisch geführt, der etwas abseits stand. Auf der abgenutzten Resopalplatte waren Salz- und Pfefferstreuer sowie ein Plastikhalter für Bierdeckel lieblos aneinandergereiht.
»Das Essen ist besser, als man glaubt«, sagte er mit einem breiten Grinsen, als habe er ihre Gedanken gelesen.
»Als Schnüffler muss man wohl so eine Kneipe aufsuchen.« Hanna versuchte, das Grinsen zu erwidern, doch es misslang und endete in einem hilflosen Zucken der Mundwinkel. Nervös klopfte sie mit den Fingern auf ihre Oberschenkel.
»Am besten erzähle ich der Reihe nach«, begann Stein. Er lehnte sich mit beiden Ellenbogen auf den Tisch und verschränkte die Hände. »Sie hatten recht mit dem Foto. Der Mann darauf ist tatsächlich Rob. Robert Walker, geboren in Irland, seit zweitausendeins in Deutschland als Bauarbeiter beschäftigt.«
»Steve hat früher auch mal auf dem Bau gearbeitet«, sagte Hanna.
»Vielleicht haben sie sich dort kennengelernt. Vielleicht kannten sie sich noch aus England. Robert Walker ist bei der Polizei kein unbeschriebenes Blatt, daher war es auch relativ einfach, etwas über ihn zu erfahren. Er hat eine ziemlich lange Vorstrafenliste, meist kleinere Delikte. Ladendiebstahl, Körperverletzung in minder schwerem Fall, Einbruchdiebstahl, Hausfriedensbruch … Vor vier Jahren allerdings war er in einen Raubüberfall auf einen Geldtransporter verwickelt und hat dabei auf den Fahrer geschossen. Er ist noch am Tatort gefasst worden und hatte Glück, dass der Fahrer überlebt hat. Es war also nur schwerer Raub mit schwerer Körperverletzung. Der Staatsanwalt wollte ihn wegen Mordversuchs drankriegen, aber da Rob ins Bein geschossen hatte, konnte sein Verteidiger dies abwenden. Rob landet also für fünf Jahre hinter Gittern, nach dreieinhalb, das war Ende letzten Jahres, bricht er aus. Die
Weitere Kostenlose Bücher