Rachekind: Thriller (German Edition)
hier. Es ist eine Kopie von dem mit Steve und Rob.« Er schob ihr das Foto zwischen Pass und Daumen. »Mit etwas Glück erkennen sie Rob und können Ihnen erzählen, wie er früher zu Steve stand.«
»Danke!«
Hinter ihr räusperte sich eine ältere Dame. Schnell schob Hanna den Buggy zu dem inzwischen freien Schalter. Der Beamte schaute sie prüfend an und streckte seine Hand fordernd nach den Pässen aus. Sie ließ den Buggy los und legte die Pässe auf den Tresen. Dann verstaute sie das Foto in ihrer Handtasche.
»In Ordnung, gute Reise«, sagte die monotone Stimme des Mannes.
Hanna sah von der Tasche zu dem Beamten. Entsetzt fuhr sie zurück.
Steve starrte sie aus dem Glaskasten heraus an. Sein Gesicht war schmutzig und eingefallen, in seinem rechten Auge klebte etwas neben der Iris, doch er blinzelte nicht, um es zu entfernen.
»Ist noch etwas?«, fragte die monotone Stimme, und Steves Gesicht verwandelte sich zurück in das des Beamten.
»N… Nein«, stammelte Hanna und riss sich zusammen. Ihr Herz klopfte so hart, dass sie jeden einzelnen Schlag spürte. »Nein. Es ist nichts.« Hastig nahm sie die Pässe und ging weiter.
Devon
Montag 13. Juni
24
Die Landschaft lag friedlich vor dem Fenster der Pension, in der Hanna am Vorabend abgestiegen war. Es war eine kleine Pension mit einfachen Zimmern und einem Gemeinschaftsbad am Flur, aber die Wirtin war sehr freundlich, und es war die erste Unterkunft nach dem Verlassen der Autobahn auf ihrem Weg von Bristol nach Combe Martin gewesen, die noch ein Zimmer frei hatte. Die Dame von der Autovermietung hatte sie vorgewarnt, hatte ihr erklärt, dass in Devon gerade die Saison begonnen habe und die Gästehäuser zum größten Teil besetzt seien. Hanna ließ ihre Augen über das zarte Grün der Blätter und Weiden wandern und über die sanften Hügel, auf deren Rücken niedrige Steinmauern ein eigenwilliges Muster zeichneten. Dreißig Meilen trennten sie noch von ihren Schwiegereltern. Schwiegereltern, die von ihrer Existenz wahrscheinlich noch nicht einmal etwas ahnten.
Sie lehnte ihren Kopf an die Fensterscheibe und genoss die Kühle des Glases, als wäre es unerträglich heiß im Zimmer. Dabei war es absolut nicht heiß. Im Gegenteil, als sie vorhin zum Auto gelaufen war, um das Pulver für Lilous Morgenmilch zu holen, hatte der frische Wind ihr eine Gänsehaut verursacht. Trotzdem fühlte sich die glatte Scheibe gut an. Sie kühlte ihren Kopf, der sich anfühlte, als sei er heißgelaufen von den vielen wirren Gedanken, die in ihm herumspukten. Von den Ängsten um Steves Leben und ihre und Lilous Sicherheit, von den Erinnerungen an die unerklärlichen Erscheinungen und abstoßenden Bilder, die sich ihr aufdrängten, sobald sie die Augen schloss. Steves Gesicht, eingefallen und schmutzig, die Augen starr und leblos. In Rapallo hatte sie jede Nacht tief und traumlos geschlafen. Jetzt war der Albtraum zurückgekehrt. Die Kinderstimmen hatten noch ängstlicher geklungen, noch intensiver, noch verzweifelter. Diesmal waren die Füße jedoch nicht um drei Uhr dreiundvierzig, sondern genau eine Stunde früher durch ihren Traum getrampelt. Als hätte ihr Unterbewusstsein die Zeitverschiebung einkalkuliert.
Sie löste den Kopf von der Scheibe und drehte sich um. Lilou lag schlafend in der Mitte des Ehebetts, auf ihrem Gesicht ein zufriedener Ausdruck. Ob sie ihren Vater vermisste?
Dann rührte sie sich mit einem lauten Schmatzen. »Na, ausgeschlafen, Püppchen?« Hanna nahm die Milchflasche und setzte sich zu Lilou aufs Bett. Lilou lachte und streckte die Ärmchen aus.
»Mama.«
Hanna konnte nicht anders, als sie an sich zu drücken und zu küssen. Was immer zwischen Steve und seinen Eltern schiefgelaufen sein mochte, Lilou würde ihre Großeltern ebenso um den kleinen Finger wickeln wie ihre Eltern.
25
Als Hanna Combe Martin erreichte, ignorierte sie das Navigationssystem und folgte stattdessen dem Hinweisschild zum Meer.
Es war ein kleiner Ort, idyllisch eingebettet in ein enges Tal, mit verstreuten Wäldern und sanften Hügeln, deren saftige Wiesen mit Blumen übersät waren. Von der Hauptstraße gingen zu beiden Seiten kleine Straßen ab, die sich wie ein Adernetz weiter verzweigten. Beim Durchfahren fragte sie sich, wo Steve wohl früher gespielt haben mochte, wo er sich mit seinen Freunden getroffen und wo er mit ihnen sein erstes Bier getrunken und seine erste Zigarette geraucht hatte. So versessen, wie er aufs Segeln war, hatte er sicher viel Zeit am
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