Racheklingen
angewandt hatte, machte es für ihn nicht angenehmer, das verdammte Zeug selbst zu konsumieren. Im Gegenteil. Er gurgelte mit einem Schluck Wasser und versuchte erfolglos, den bitteren Geschmack auf diese Weise loszuwerden; dabei wusste er nur zu gut, dass er ihn noch stundenlang hinten in der Nase spüren würde.
Er reihte die nächsten sechs Behältnisse auf, zog ihre Korken ab, öffnete die Verschlüsse und drehte ihre Deckel auf. Er hätte die verschiedenen Mittelchen hintereinander schlucken können, aber aufgrund der vielen Frühstücksmahlzeiten dieser Art, die er in den letzten Jahren genossen hatte, wusste er, dass es sich anbot, sie alle auf einmal zu nehmen. Also drückte, schnippte und tropfte er die jeweiligen Mengen in sein Wasserglas, vermischte sie sorgfältig mit dem Löffel, nahm sich zusammen und würgte diese Mixtur mit drei hässlichen Schlucken hinunter.
Morveer setzte das Glas ab, wischte sich die Tränen unter den Augen weg und stieß einen wässrigen Rülpser aus. Kurz spürte er einen neuerlichen Anflug von Übelkeit, aber er ging schnell vorüber. Immerhin machte er das schon seit zwanzig Jahren jeden Morgen so. Wenn er sich immer noch nicht daran gewöhnt hätte …
Mit einem Ruck stürzte er ans Fenster, riss die Läden auf und steckte seinen Kopf gerade rechtzeitig ins Freie, um sein mageres Frühstück in die dreckige Gasse zu spucken, die am Lagerhaus vorüberführte. Er stieß ein bitteres Stöhnen aus, als er zurücksank, schnaubte den brennenden Rotz aus seiner Nase und tastete sich unsicheren Schrittes bis zur Waschschüssel vor. Er schöpfte eine Handvoll Wasser, rieb es sich ins Gesicht und starrte auf sein Spiegelbild, während die Tropfen von seinen Brauen rannen. Das Schlimmste daran war, dass er jetzt noch eine weitere Portion Haferbrei in seinen rebellierenden Magen zwingen musste. Eines der vielen ungewürdigten Opfer, die er bringen musste, um sich immer wieder selbst zu übertreffen.
Die anderen Kinder im Waisenhaus hatten seine besonderen Talente nie zu schätzen gewusst. Ebenso wenig wie sein Meister, der berüchtigte Moumah-yin-Bek. Auch seine Frau hatte ihn nicht genügend wertgeschätzt. Und so, wie es den Anschein hatte, brachte seine jetzige Dienstherrin ebenfalls keinen Respekt für seine Selbstlosigkeit, für sein Ungemach, für die – nein, nein, es war keine Übertreibung –
heroischen
Anstrengungen auf, die er ihretwillen unternahm. Der liederliche alte Weinschlauch Nicomo Cosca erhielt mehr Anerkennung als er.
»Ich bin vom Schicksal gezeichnet«, murmelte er untröstlich. »Dazu verurteilt, zu geben, zu geben und zu geben und nichts dafür zurückzubekommen.«
Ein Klopfen erklang von der Tür, gefolgt von Days Stimme. »Sind Sie fertig?«
»Gleich.«
»Sie trommeln unten alle zusammen. Wir müssen los zu Cardotti. Den Boden bereiten. Weil Vorbereitung ganz wichtig ist und so.« Es klang, als spräche sie mit vollem Mund. Es wäre allerdings auch ein Wunder gewesen, wenn nicht.
»Ich komme sofort nach!« Er hörte, wie ihre Schritte verklangen. Zumindest gab es einen Menschen, der die angemessene Bewunderung für seine wissenschaftlichen Fertigkeiten zeigte, der ihm die gebührende Achtung entgegenbrachte und seine hohen Erwartungen sogar übertraf. Längst stützte er sich in vieler Hinsicht auf sie, sowohl in Alltagsdingen als auch gefühlsmäßig. Vielleicht mehr, als die Vorsicht geboten erscheinen ließ.
Aber selbst ein Mann von Morveers ungewöhnlichem Talent konnte nicht alles selbst erledigen. Er stieß einen langen Seufzer aus und wandte sich vom Spiegel ab.
Die Gaukler oder auch die Mörder, denn sie waren beides, hatten sich im Untergeschoss des Lagerhauses versammelt. Es waren fünfundzwanzig, wenn Freundlich sich selbst mit dazuzählte. Die drei gurkhisischen Tänzerinnen saßen im Schneidersitz da, und zwei von ihnen hatten ihre kunstvoll bemalten Katzenmasken bis über das eingeölte schwarze Haar hochgeschoben. Die dritte trug die Maske vor dem Gesicht; die Augen schimmerten dunkel hinter den geschlitzten Sichtlöchern, während sie sorgfältig einen Krummdolch polierte. Die Musikgruppe war bereits in elegante schwarze Jacken und gelbgrau gestreifte enge Hosen gekleidet, und dazu hatten die Männer Masken in der Form von Noten erhalten. Sie übten eine Tanzmelodie, die ihnen inzwischen halbwegs ordentlich gelang.
Espe stand daneben und trug einen fleckigen Waffenrock aus Leder, der rund um seine Schultern mit stellenweise
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