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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Schatten folgte. Er betrachtete unwillig das verzerrte Spiegelbild seines verlebten Gesichts im blasigen Glas der Wasserflasche.
    »Die Erinnerungen an unsere großen Taten schwinden«, flüsterte er, »und verkommen zu halb idiotischen Anekdoten, die schließlich dünn und so wenig überzeugend wirken wie die Lügen anderer Drecksäcke. Das Scheitern, die Enttäuschung, das Bedauern aber bleiben immer so greifbar wie in dem Augenblick, da es entstand. Das Lächeln eines schönen Mädchens, das man nie erwiderte. Eine kleine Schandtat, für die wir einem anderen die Schuld in die Schuhe schoben. Eine namenlose Schulter, die uns in einer Menge anrempelte und die wir tagelang, monatelang nicht vergaßen. Die wir nie vergessen.« Er verzog den Mund. »Das ist das Zeug, aus dem die Vergangenheit besteht. Diese elenden Geschehnisse machen uns zu dem, was wir sind.«
    Freundlich blieb still, und das spornte Cosca mehr an als jede Aufforderung.
    »Und es gab keinen bittereren Augenblick als jenen, als Monzcarro Murcatto sich gegen mich wandte, oder? Ich sollte an ihr Rache nehmen, anstatt ihr dabei zu helfen, sich selbst zu rächen. Ich sollte sie töten, sie und Andiche, Sesaria, Victus und all die anderen ehemaligen Arschloch-Freunde von den Tausend Klingen. Was zur
Hölle
tue ich hier also, Freundlich?«
    »Du redest.«
    Cosca schnaubte. »Wie immer. Ich hatte schon immer ein schlechtes Urteilsvermögen, wenn es um Frauen ging.« Plötzlich lachte er bellend auf. »Um ehrlich zu sein, ich hatte in fast allen Dingen ein grauenvolles Urteilsvermögen! Genau das hat mir ja ein so aufregendes Leben beschert.« Er schlug die Flasche auf den Tisch. »Genug Rinnsteinphilosophie! Es ist nun mal so, ich brauche die Chance, die sie mir bietet, ich muss mich ändern, und vor allem brauche ich unbedingt Geld.« Er stand auf. »Scheiß auf die Vergangenheit, Nicomo Cosca, verdammt noch mal! Ich lache im Angesicht der Angst!« Er unterbrach sich kurz. »Und jetzt gehe ich wieder ins Bett. Meinen verbindlichsten Dank, Meister Freundlich, du bist ein so guter Gesprächspartner, wie ich selten einen getroffen habe.«
    Der Sträfling sah kurz von seinem Kessel mit Haferbrei auf. »Ich habe doch kaum was gesagt.«
    »Genau.«
     
    Morveers Morgenmahlzeit war auf dem kleinen Tisch angerichtet, in einer Schlafkammer, die einst vielleicht einmal ein Lagerraum in jenem verlassenen Gebäude in diesem eher ungesunden Viertel Sipanis gewesen war, einer Stadt, die er von jeher verabscheut hatte. Das Frühstück bestand aus einer schiefen Schüssel mit kaltem Haferbrei, einer zerbeulten Tasse mit dampfendem Tee und einem angeschlagenen Glas mit bitterem, lauwarmem Wasser. Daneben standen sauber aufgereiht siebzehn verschiedene Phiolen, Fläschchen und Krüge, allesamt mit speziellen Pasten, Flüssigkeiten oder Pudern gefüllt, deren Farben von durchsichtig und weiß über stumpfes Gelbbraun bis zum Grünblau des Skorpionöls reichten.
    Zögernd nahm sich Morveer einen Löffel Brei. Während er ihn ohne besonderen Appetit mit der Zunge im Mund verteilte, zog er die Stopfen aus den ersten vier Behältern, nahm eine schimmernde Nadel aus ihrer Verpackung, tauchte sie in die erste Tinktur und stach sie dann in seinen Handrücken. Dann wiederholte er die Prozedur mit der zweiten, mit der dritten und vierten, dann warf er die Nadel angeekelt beiseite. Mit verkniffenem Gesicht sah er zu, wie sich ein winziger Blutstropfen über einer Einstichstelle bildete. Er lehnte sich ein wenig zurück, während eine Welle der Übelkeit über ihn hinwegschwappte.
    »Verdammtes Larync!« Dennoch, es war besser, jeden Tag eine kleine Dosis zu nehmen und ein wenig Unwohlsein zu erdulden, als wenn eines Tages aufgrund einer großen Dosis, mochte sie ihm durch Zufall oder Boshaftigkeit zugeführt werden, jedes Blutgefäß in seinem Hirn platzte.
    Er zwang sich, einen weiteren Löffel der salzigen Pampe zu schlucken, öffnete die Dose, die als Nächstes an der Reihe war, nahm eine winzige Prise Senfwurzel, hielt sich dann ein Nasenloch zu und schnupfte das Pulver durch das andere. Er erschauerte, als sich die Substanz brennend auf die Schleimhäute legte, und fuhr sich mit der Zunge über die Zähne, als sein Mund unangenehm taub wurde. Schnell trank er etwas Tee, merkte aber erst beim Schlucken, wie heiß der noch war, und spuckte ihn beinahe wieder aus.
    »Verdammte Senfwurzel!« Dass er selbst ebenjenen Stoff mit bewundernswerter Effizienz gegen einige Zielpersonen

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