Racheklingen
Schimmel. Weiter unten, kurz oberhalb der schmierigen Pflastersteine, hatte man die Wände mit großen Plakaten zugekleistert, die sich an den Rändern lösten und zerrissen im Wind flatterten. Darauf waren Gesichter abgebildet und Worte gedruckt. Warnungen vielleicht, aber Espe hatte mit dem Lesen nicht allzu viel im Sinn. Schon gar nicht auf Styrisch. Es war schon schwer genug, die Sprache zu sprechen.
Am Hafen wimmelte es vor Menschen, und die wenigsten sahen glücklich aus. Oder gesund. Oder reich. Es hing ein intensiver Geruch in der Luft. Oder vielmehr ein ziemlicher Gestank. Eine Mischung aus verdorbenem Stockfisch, alten Leichen, Kohlenrauch und überlaufenden Latrinen. Von der zukünftigen Heimat des neuen Mannes, der er zu werden hoffte, war Espe mehr als nur ein bisschen enttäuscht. Für einen winzigen Augenblick dachte er daran, den größten Teil des Geldes, das er noch besaß, erneut für eine Reise auszugeben und mit der nächsten Flut wieder nach Hause, nach Norden, auszulaufen. Aber er schüttelte den Gedanken ab. Er war fertig mit dem Krieg, fertig damit, Männer in den Tod zu führen, fertig mit dem Morden und mit allem, was dazugehörte. Er hatte es sich fest vorgenommen, ein besserer Mensch zu werden. Er wollte das Richtige tun, und hier in dieser Stadt würde er damit anfangen.
»Na schön.« Er nickte dem nächsten Matrosen gut gelaunt zu. »Dann will ich mal.« Er bekam kaum mehr als ein Grunzen zur Antwort, aber sein Bruder hatte ihm stets gesagt, dass es darauf ankam, was ein Mann anderen Menschen gab, nicht darauf, was er zurückerhielt. Also grinste er, als hätte man ihm fröhlich die besten Wünsche mit auf den Weg gegeben, schlenderte die klapprige Planke hinunter und tat den ersten Schritt in sein schönes neues Leben in Styrien.
Er war kaum ein Dutzend Schritte weit gekommen und sah noch zu den hoch aufragenden Gebäuden auf der einen und den schwankenden Masten auf der anderen Seite empor, als ihn jemand anrempelte und beiseiteschubste.
»Entschuldigung«, sagte Espe auf Styrisch, um die Lage möglichst entspannt zu halten. »Hab dich nicht gesehen, mein Freund.« Der Mann ging weiter und drehte sich nicht einmal um. Das nagte ein wenig an Espes Stolz. Davon besaß er noch immer jede Menge; es war das Einzige, was ihm sein Vater hinterlassen hatte. Er hatte keine sieben Jahre voller Schlachten, Scharmützel, eisigem Erwachen mit Schnee auf der Decke, beschissenem Essen und noch schlimmeren Liedern überstanden, um sich hier so einen kommentarlosen Schubs einzufangen.
Aber es war gleichzeitig ein Verbrechen und eine Strafe, ein harter Hund zu sein. Lass es gut sein, hätte ihm sein Bruder gesagt. Espe war fest entschlossen, alles von der besten Seite zu sehen. Also wandte er sich vom Hafen ab und bog in eine breite Straße ein, die in die Stadt hineinführte. Vorbei an einem Rudel Bettlern auf Decken, die Armstümpfe und verkümmerte Glieder schwenkten. Über einen Platz, auf dem die Statue eines finster dreinblickenden Mannes stand, der ins Nirgendwo deutete. Espe hatte keine Ahnung, um wen es sich dabei handeln mochte, aber der Kerl sah ziemlich selbstzufrieden aus. Küchengerüche zogen Espe in die Nase, und sein Magen knurrte. Es lockte ihn zu einem Stand, wo ein paar Fleischspieße über einem kleinen Feuer in einem Korb hingen.
»Einen davon«, sagte Espe und deutete auf das Fleisch. Mehr musste wohl nicht gesagt werden, daher machte er es kurz. So konnte er weniger falsch machen. Als ihm der Koch den Preis nannte, verschluckte er sich beinahe. Im Norden hätte er dafür ein ganzes Schaf bekommen, vielleicht sogar zwei Tiere für eine Zucht. Das Fleisch bestand zur Hälfte aus Fett, der Rest waren Knorpel. Es schmeckte nicht halb so gut, wie es gerochen hatte, aber inzwischen überraschte ihn das kaum noch. Offenbar waren die meisten Dinge in Styrien nur halb so gut, wie man es sich erzählte.
Der Regen war stärker geworden und geriet Espe in die Augen, während er aß. Verglichen mit den Stürmen, die er im Norden lachend überstanden hatte, war das kein wirklich schlechtes Wetter, aber es genügte, um seiner Stimmung einen Dämpfer zu verpassen und ihn daran zu erinnern, dass er noch nicht wusste, unter welchem Dach er heute Nacht schlafen sollte. Die Feuchtigkeit tropfte von moosbewachsenen Regenrinnen und in geborstene Gossen, färbte das Pflaster dunkel und sorgte dafür, dass die Menschen die Köpfe einzogen und fluchten. Von den eng beieinanderstehenden Gebäuden
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