Racheklingen
schätzen.« Er schien kurz darüber nachzudenken. »Du hättest natürlich noch mehr Glück gehabt, wenn du gar nicht erst runtergefallen wärst, aber … da es ja nun mal so war …«
»Wo ist mein Bruder? Wo ist Benna?«
»Benna?«
Die Erinnerung kam wie ein blendender Blitz zurück. Blut, das durch die zusammengekrampften Finger ihres Bruders quoll. Die lange Klinge, die in seine Brust glitt, während sie hilflos zusehen musste. Sein schlaffes Gesicht, rot verschmiert.
Sie stieß einen krächzenden Schrei aus, bäumte sich auf und wand sich hin und her. Tiefer Schmerz fuhr durch jedes Glied, und sie krümmte sich noch mehr, erschauerte, würgte, aber irgendetwas hielt sie weiterhin fest. Der Mann, in dessen Gewahrsam sie sich befand, sah zu, wie sie kämpfte, das wachsfarbene Gesicht so leer wie eine unbeschriebene Seite Papier. Sie sackte wieder zurück, spuckte und stöhnte, als der Schmerz sie stärker und stärker packte, sie wie ein riesiger Schraubstock ergriff, der sich immer weiter zuzog.
»Wut ändert gar nichts.«
Sie konnte nur stöhnen, während ihr der Atem stoßweise durch die zusammengebissenen Zähne fuhr.
»Ich könnte mir vorstellen, dass du jetzt ein wenig Schmerzen hast.« Der Mann öffnete eine Schublade des Schranks und zog eine lange Pfeife hervor, deren Kopf voller schwarzer Flecken war. »Ich würde versuchen, mich daran zu gewöhnen, wenn dir das möglich ist.« Er bückte sich und fischte ein heißes Stück Kohle mit einer Zange aus dem Feuer. »Der Schmerz wird dein stetiger Begleiter sein, fürchte ich.«
Das abgenutzte Mundstück ragte ihr entgegen. Sie hatte schon oft genug Spreuraucher erlebt, die ausgestreckt wie Leichen dalagen, selbst zu nutzloser Spreu verkommen, und die sich um nichts anderes scherten als um die nächste Pfeife. Spreu war wie Erbarmen. Etwas für Schwächlinge. Für Feiglinge.
Er lächelte wieder sein Totenlächeln. »Das wird helfen.«
Wenn der Schmerz stark genug ist, wird jeder zum Feigling.
Der Rauch brannte in ihren Lungen und ließ ihre wunden Rippen beben, und jeder Hustenreiz schickte neue Schmerzpfeile bis in ihre Fingerspitzen. Sie stöhnte, verzerrte das Gesicht, kämpfte wieder, aber dieses Mal schwächer. Ein letztes Husten, dann lag sie schlaff da. Der Schmerz hatte seinen Biss verloren. Auch die Angst und die Panik ließen ein wenig nach. Alles verschmolz allmählich. Weich, warm, angenehm. Jemand stieß ein langes, tiefes Seufzen aus. Vielleicht sie selbst. Dann spürte sie, wie eine Träne über ihr Gesicht rann.
»Mehr?« Dieses Mal hielt sie den Rauch ein wenig länger in den Lungen, bevor sie ihn zögernd in einem schimmernden Wölkchen ausblies. Ihr Atem wurde langsamer und langsamer, das Pochen des Blutes in ihrem Kopf beruhigte sich zu einem sanften Wogen.
»Mehr?« Die Stimme schwappte über sie wie die Wellen an einen flachen Strand. Die Knochen erschienen nun verschwommen, sie schimmerten umgeben von Aureolen warmen Lichts. Es war kaum noch etwas von dem Schmerz zu spüren, und das, was noch da war, spielte keine Rolle. Nichts spielte mehr eine Rolle. Ihre Augen flackerten angenehm, und dann schlossen sie sich, und es fühlte sich noch angenehmer an. Mosaikmuster tanzten und bewegten sich auf den Innenseiten ihrer Augenlider. Sie schwebte auf einem warmen Meer, honigsüß …
»Wieder unter uns?« Sein Gesicht zuckte in ihren Blick, hing schlaff und weiß wie eine Parlamentärsflagge da. »Zugegeben, ich habe mir Sorgen gemacht. Eigentlich hatte ich gar nicht mehr erwartet, dass du überhaupt aufwachst, aber da du es getan hast, wäre es eine Schande, wenn …«
»Benna?« Monzas Kopf schwebte noch sanft. Sie grunzte, versuchte einen Knöchel zu bewegen, aber der nagende Schmerz brachte das Bewusstsein für die Wahrheit zurück, und ihr Gesicht verzog sich zu einer Grimasse der Hoffnungslosigkeit.
»Immer noch wund? Vielleicht habe ich etwas, um deine Laune zu heben.« Er rieb seine langen Hände aneinander. »Die Fäden sind jetzt alle raus.«
»Wie lange habe ich geschlafen?«
»Ein paar Stunden.«
»Und davor?«
»Knapp über zwölf Wochen.« Sie starrte ihn betäubt an. »Den ganzen Herbst und bis hinein in den Winter, und bald wird das neue Jahr beginnen. Eine schöne Zeit für einen Neuanfang. Dass du überhaupt wieder aufgewacht bist, ist beinahe ein Wunder. Deine Verletzungen waren … nun, ich denke, du wirst mit meiner Arbeit zufrieden sein. Ich bin es jedenfalls.«
Er zog ein schmieriges Kissen
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