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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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aufgetürmt.
    Also waren es menschliche Knochen. Monza fühlte, wie ihre Haut eiskalt wurde.
    Sie versuchte sich aufzusetzen. Das vage Gefühl tauber Steifheit verwandelte sich so plötzlich in jäh aufflackernden Schmerz, dass sie sich beinahe übergeben hätte. Der düstere Raum schwankte, verschwamm vor ihren Augen. Etwas hielt sie fest, und sie lag auf hartem Untergrund. Ihr Verstand war voller Schlamm; sie konnte sich nicht erinnern, wie sie hierhergekommen war.
    Ihr Kopf glitt zur Seite, und sie sah einen Tisch. Auf dem Tisch befand sich ein Metalltablett. Auf dem Tablett lag eine sorgfältig sortierte Auswahl von Instrumenten. Mindestens ein Dutzend Messer in allen Größen und Formen. Ihre Augen weiteten sich, als sie über die polierten Klingen glitten – gebogen, gerade, gezackt glänzten sie grausam und einsatzbereit im Feuerschein. Die Werkzeuge eines Feldschers?
    Oder eines Folterknechts?
    »Benna?« Ihre Stimme war ein geisterhaftes Kreischen. Ihre Zunge, ihr Zahnfleisch, ihre Kehle, die Nasenhöhlen, all das war roh wie abgezogenes Fleisch. Wieder versuchte sie, sich zu bewegen, konnte aber kaum ihren Kopf heben. Selbst diese kleine Anstrengung schickte einen lähmenden Stich durch ihren Hals und bis in ihre Schulter, löste ein dumpfes Pulsieren in ihren Beinen, ihrem rechten Arm und in ihren Rippen aus. Der Schmerz brachte Angst mit, die Angst verstärkte den Schmerz. Ihr Atem ging schneller, fuhr stoßweise und pfeifend durch ihre wunden Nasenlöcher.
    Klick, klick.
    Sie erstarrte, und die Stille brannte in ihren Ohren. Dann ein Knirschen, ein Schlüssel drehte sich im Schloss. Wild wand sie sich hin und her, der Schmerz brannte in jedem Gelenk, riss an jedem Muskel, Blut pochte hinter ihren Augen, und sie presste die geschwollene Zunge gegen ihre Zähne, um nicht zu schreien. Eine Tür öffnete sich kreischend und schloss sich mit einem Knall. Schritte auf nackten Dielenbrettern, kaum hörbar, und dennoch jagte jeder einzelne einen Stich der Angst durch ihre Kehle. Ein Schatten streckte sich über den Boden – ein riesiger Schatten, unförmig, monströs. Ihre Augen sahen angestrengt in die Zimmerecken. Sie konnte nichts tun, außer darauf zu warten, dass das Schlimmste eintraf.
    Eine Gestalt kam durch die Tür, ging geradewegs an ihr vorbei und zu einem hohen Schrank hinüber. Der Mann war tatsächlich allenfalls von durchschnittlicher Größe und hatte kurzes, blondes Haar. Der missgestaltete Schatten erklärte sich durch den Leinensack, den er sich über die Schulter geworfen hatte. Er summte tonlos vor sich hin, als er ihn ausleerte, dann legte er jedes Stück sorgsam auf das entsprechende Regal und drehte es hin und her, bis es genau in den Raum zeigte.
    Wenn er ein Ungeheuer war, dann eines der alltäglichen, das ein Auge für kleine Einzelheiten besaß.
    Sanft schloss er die Tür, faltete den leeren Sack einmal, dann noch einmal und schob ihn unter den Schrank. Anschließend zog er seinen fleckigen Mantel aus und hing ihn an einen Haken, bürstete ihn mit entschiedenen Handbewegungen ab, wandte sich um und blieb dann wie angewurzelt stehen. Ein blasses, hageres Gesicht. Nicht alt, aber voller tiefer Furchen, mit deutlich hervortretenden Wangenknochen und Augen, die hungrig hell in entzündeten Höhlen lagen.
    Einen Augenblick starren sie einander an, beide offenbar gleichermaßen erschrocken. Dann verzogen sich seine farblosen Lippen zu einem kränklichen Lächeln.
    »Du bist wach!«
    »Wer bist du?« Ein entsetztes Krächzen aus ihrer ausgedörrten Kehle.
    »Mein Name spielt keine Rolle.« Er sprach mit einem leichten Unionsakzent. »Es sollte genügen, dass ich ein Student der Naturwissenschaften bin.«
    »Ein Heiler?«
    »Unter anderem. Wie du dir vielleicht schon gedacht hast, bin ich in erster Linie an Knochen interessiert. Und deswegen bin ich so froh, dass du in mein Leben … hineingefallen bist.« Er grinste wieder, aber es war wie das Grinsen der Totenschädel; seine Augen erreichte es nicht.
    »Wie bin …« Sie rang mit den Worten, ihr Kiefer erschien ihr so ungelenk wie eine eingerostete Türangel. Es war, als ob sie versuchte, mit einem Kothaufen im Mund zu sprechen, und es schmeckte auch kaum besser. »Wie bin ich hierhergekommen?«
    »Ich brauche Leichen für meine Arbeit. Sie lassen sich manchmal an der Stelle finden, wo ich dich entdeckte. Aber nie zuvor bin ich dort auf jemanden gestoßen, der noch lebt. Ich würde sagen, du kannst dich außergewöhnlich glücklich

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