Racheklingen
entdeckt und sofort erraten hatten, wozu sie dienten. Er konnte sich der völlig irrationalen Erklärung nicht verschließen, dass diese gurkhisische Teufelin aus irgendeinem Grund seine innersten Gedanken kannte. Dass sie wusste, was er getan hatte, Dinge, von denen er dachte, niemand würde es je herausfinden …
»Ich bin in der Scheune!«, kreischte er mit einer viel schrilleren Stimme, als er eigentlich beabsichtigt hatte. Unter Schwierigkeiten senkte er sie ein wenig. »Ich muss einiges vorbereiten, wenn wir morgen Gäste haben werden. Komm, Day!«
»Ich esse nur eben auf.« Day hatte sich schnell mit ihrer Besucherin abgefunden und war damit beschäftigt, sich drei Brote auf einmal mit Butter zu beschmieren.
»Ah … ja … ich verstehe.« Er blieb kurz unruhig stehen, merkte aber, dass er nichts damit gewinnen konnte, wenn er wartete, außer die Sache noch peinlicher zu machen. Also schritt er zur Tür.
»Brauchen Sie Ihren Mantel?«, fragte Day.
»Mir ist mehr als warm genug!«
Erst als er aus der Tür des Hauses in die Dunkelheit trat, der Wind kühl über den Weizen fuhr und durch sein Hemd fasste, wurde ihm klar, dass ihm nicht annähernd warm genug sein würde. Aber nun war es zu spät, noch einmal hineinzugehen. Er hätte sich vollends lächerlich gemacht, und das kam absolut nicht in Frage.
»Nicht mit
mir
.« Er fluchte bitter, während er sich den Weg über den dunklen Hof bahnte, die Arme um den Oberkörper geschlungen und dennoch bereits zitternd. Er hatte sich von einer gurkhisischen Betrügerin mit ein paar einfachen Tricks aus der Ruhe bringen lassen. »Bandagierte
Schlampe
.« Nun, sie würden es alle noch erleben. »Oh
ja
.« Er hatte es am Schluss auch den Aufseherinnen im Waisenhaus gezeigt und sich für all die Peitschenhiebe gerächt. »Wir werden ja noch sehen, wer wem die Hiebe verpasst.« Vorsichtig sah er über seine Schulter, ob ihn auch niemand beobachtete. »Zauberei!«, zischte er verächtlich. »Ich werde euch allen noch ein oder zwei Tricks zeigen, die – iiiih!« Sein Stiefel trat in etwas Weiches, und er glitt aus und landete mit dem Hintern in einem Schlammloch. »Bah! Verflucht sei alles bis zu deinem verdammten
Arsch
!« So viel zu den heldenhaften Bemühungen und den neuen Anfängen.
DER VERRÄTER
Espe vermutete, dass ihm etwa ein oder zwei Stunden bis zum Morgengrauen blieben. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen, aber das Wasser tropfte immer noch von den frischen Blättern und klatschte auf die Erde. Die Luft war schwer vor kühler Feuchtigkeit. Ein angeschwollener Bach gurgelte neben dem kleinen Pfad und übertönte die schlammig dumpfen Hufschläge seines Pferdes. Er wusste, dass er jetzt schon sehr nahe war, und er sah bereits den schwachen rötlichen Schimmer der Lagerfeuer an den Rändern der nassen Baumstämme.
Dunkle Zeiten sind die besten für dunkle Geschäfte, hatte der Schwarze Dow immer gesagt, und der hatte es schließlich wissen müssen.
Espe trieb sein Pferd weiter durch die nasse Nacht und hoffte, dass nicht irgendein betrunkener Wachposten nervös wurde und ihm gleich einen Pfeil durch die Gedärme schickte. So was tat wahrscheinlich weniger weh, als wenn einem das Auge ausgebrannt wurde, aber direkt angenehm war es ja nun auch nicht. Glücklicherweise sah er den ersten Posten, bevor der ihn entdeckte, an einen Baum gelehnt, den Speer aufrecht an der Schulter. Er hatte sich eine Kapuze aus Ölzeug über den Kopf gezogen und hätte auch dann nichts gesehen, wenn er wach gewesen wäre.
»He!« Der Mann fuhr herum und ließ seinen Speer auf die Erde fallen. Espe sah grinsend zu, wie der Wachmann hastig im Dunkeln danach herumtastete, und saß ruhig da, die Hände über den Sattelknauf gelegt. »Willst du mich anhalten, oder soll ich einfach weiterreiten und dich in Ruhe lassen?«
»Wer da?«, knurrte der Mann, der jetzt den Speer zusammen mit einem Büschel nassen Grases an sich riss.
»Ich heiße Caul Espe, und der Getreue Carpi wird mit mir reden wollen.«
Das Lager der Tausend Klingen sah ziemlich genauso aus, wie solche Lager immer aussehen. Männer, Zeltleinwand, Metall und Dreck. Vor allem Dreck. Zelte waren ohne besondere Anordnung querbeet errichtet worden. Die Pferde hatte man an Bäume gebunden, und ihr Atem stieg weiß in die Luft. Speere lehnten aneinander. Einige Lagerfeuer brannten hell, andere glommen nur noch leicht, und ihr beißender Rauch hing in der Luft. Ein paar Männer waren noch wach, zumeist in Decken gehüllt, auf
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