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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Form.«
    Vielleicht brannte man sie ihnen auch ein. »Wie geht’s deinem Gesicht?«, fragte sie leise.
    »Juckt.«
    »Hat es wehgetan, die Sache beim Augenmacher?«
    »Verglichen mit dem Schmerz, wenn man sich den Zeh stößt oder wenn einem das Auge rausgebrannt wird, war es eher in der Nähe von dem Zeh.«
    »Wie die meisten Sachen.«
    »Wenn man eine Klippe hinunterstürzt?«
    »Ist gar nicht so schlimm, solange man ruhig liegen bleibt. Wenn man versucht aufzustehen, dann fängt es ein bisschen an zu puckern.« Das belohnte er mit einem Grinsen, aber er grinste inzwischen viel weniger als früher. Nach dem, was er durchgemacht hatte, war das nicht besonders verwunderlich. Was er wegen ihr durchgemacht hatte. »Ich glaube … ich sollte mich bei dir dafür bedanken, dass du mir noch einmal das Leben gerettet hast. Das wird langsam zur Gewohnheit.«
    »Aber dafür bezahlst du mich doch, oder, Häuptling? Eine wohlgeratene Arbeit ist sich selbst Lohn genug, hat mein Vater immer gesagt. Tatsache ist, dass ich das ganz gut kann. Als Kämpfer bin ich ein Mann, der Respekt einfordert. Bei allem anderen bin ich bloß ein großer, unbeholfener Arsch, der ein Dutzend Jahre mit Krieg verschwendet hat und daraus nichts weiter mitgenommen hat als blutige Träume und ein Auge weniger als die meisten anderen Leute. Aber ich habe noch immer meinen Stolz. Ein Mann muss eben das sein, was er nun mal ist, würd’ ich sagen. Was bleibt ihm sonst? Er kann nur so tun als ob. Und wer würde schon gern die ganze Zeit über so tun, als ob er etwas wäre, das er gar nicht ist?«
    Gute Frage. Glücklicherweise hatten sie eine Hügelkuppe erklommen, und es blieb ihr erspart, über eine Antwort nachdenken zu müssen. Die Überreste einer kaiserlichen Straße erstreckten sich vor ihnen in einer pfeilgeraden, braunen Linie quer durch die Felder. Acht Jahrhunderte alt, zählte sie trotzdem noch zu den besten Straßen Styriens. Ein trauriges Zeugnis für die nachfolgenden Regierungen. Nicht weit von der Straße entfernt lag ein Gehöft. Ein Steinhaus mit zwei Stockwerken, geschlossenen Fensterläden, einem roten Ziegeldach, das vom Alter schon moosbraun war, und ein kleiner Stall daneben. Eine hüfthohe, mit Flechten bewachsene Trockensteinmauer zog sich um einen schlammigen Hof, ein paar magere Vögel pickten in der Erde. Gegenüber dem Haus stand eine Scheune aus Holz, deren Dach in der Mitte eingesunken war. Eine Wetterfahne in Form einer geflügelten Schlange drehte sich schwach auf dem schiefen Türmchen.
    »Da sind wir!«, rief sie, und Vitari hob den Arm, um anzuzeigen, dass man sie gehört hatte.
    Ein Bach schlängelte sich an den Gebäuden vorbei und führte zu einer Wassermühle, die eine oder zwei Meilen weit entfernt stand. Der Wind frischte auf, schüttelte die Blätter einer Hecke, ließ den Weizen sanft wogen und trieb die ausgefransten Wolken über den Himmel, deren Schatten über das Land darunter jagten.
    Es erinnerte Monza an den Hof, auf dem sie geboren worden war. Sie dachte an Benna, an den Jungen, der durchs Getreide gelaufen war, so dass man nur seinen Scheitel über dem reifenden Korn hatte sehen können, und sie hörte sein helles Lachen. Vor langer Zeit, lange bevor ihr Vater gestorben war. Monza gab sich einen Ruck und machte ein grimmiges Gesicht. Rührseliger, disziplinloser, nostalgischer Scheiß. Sie hatte den Hof gehasst. Das Graben, das Pflügen, den Dreck unter den Fingernägeln. Und wofür? Es gab nur wenige andere Dinge, für die man so hart arbeiten musste, um so wenig herauszubekommen.
    Das einzig Vergleichbare, das ihr spontan einfiel, war Rache.
    Soweit sich Morveer zurückerinnern konnte, hatte er schon immer ein besonderes Talent dafür besessen, das Falsche zu sagen. Wenn er eigentlich etwas beitragen wollte, hörte er sich so an, als wolle er sich beschweren. Wenn er sich besorgt zeigen wollte, wirkte er beleidigend. Wenn er ganz ernsthaft seine Unterstützung anbieten wollte, warf man ihm vor, andere in ein schlechtes Licht zu rücken. Dabei wollte er nur geschätzt und respektiert werden und dazugehören, aber jeder seiner Versuche, sich als netter Kumpel zu zeigen, machte die Sache gewöhnlich nur noch schlimmer.
    Nach dreißig Jahren gescheiterter Beziehungen – einer Mutter, die ihn verlassen hatte, einer Frau, die ihn verlassen hatte, Gehilfen, die ihn verlassen, beraubt oder versucht hatten, ihn zu töten, meist mit Gift, aber bei einer denkwürdigen Gelegenheit auch mit einer Axt – glaubte

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