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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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eingerolltes Herbstblatt, das nur noch an einer Faser an seinem Zweig hing, hatte er das Gefühl, dass Vossula der Wahrheit nicht immer die Ehre gegeben hatte.
    Espe betrachtete die ruhelosen Wellen, die an den Kais nagten und eisige Gischt über die wenigen verrottenden Ruderboote an ihren verrottenden Anlegern sprühten. Er lauschte dem Knarren der Taue, dem bösen Krächzen der Seevögel, dem Wind, der an einem losen Fensterladen riss, und dem Grummeln und Brummen der Männer um ihn herum. Sie alle hatten sich in der Hoffnung auf Arbeit hier am Hafen eingefunden; eine Versammlung traurigerer Gestalten konnte man sich schwerlich vorstellen. Dreckig und ausgezehrt, in zerlumpter Kleidung und mit eingefallenen Gesichtern. Verzweifelte Männer. Mit anderen Worten: Männer wie Espe. Mit dem Unterschied, dass sie hier geboren worden waren. Er war blöd genug gewesen, sich freiwillig in diese Stadt zu begeben.
    Er nahm den letzten Kanten hartes Brot aus seiner Innentasche, vorsichtig wie ein Geizhals, der seinen Schatz betrachtet, knabberte ein wenig an einem Ende und achtete darauf, jeden Krümel zu genießen. Dann sah er, wie ihn der Mann, der neben ihm stand, anstarrte und sich die bleichen Lippen leckte. Espe fühlte seine Schultern sinken, dann brach er ein Stückchen ab und reichte es hinüber.
    »Danke, Freund.« Der andere verschlang das Brot gierig.
    »Ist schon gut«, sagte Espe, obwohl er stundenlang Holz dafür gehackt hatte. Nichts war gut, um ehrlich zu sein. Nun sahen auch die anderen plötzlich auf, mit großen traurigen Augen, wie Welpen, die gefüttert werden wollen. Er hob die Hände. »Wenn ich für alle Brot hätte, wieso zum Geier würde ich dann wohl hier herumlungern?«
    Sie wandten sich brummend ab. Er zog kalten Rotz hoch und spuckte ihn aus. Abgesehen von dem alten Brot war es das Einzige, was an diesem Morgen über seine Lippen gekommen war, noch dazu in die falsche Richtung. Er war mit Taschen voller Silber hier angekommen, mit einem lächelnden Gesicht und einem Bauch voller fröhlicher Hoffnung. Nach zehn Wochen in Styrien hatte er alles davon eingebüßt.
    Vossula hatte behauptet, die Leute in Talins seien friedlich wie Lämmer und würden Fremde wie Gäste willkommen heißen. Er war lediglich auf hochfahrende Ablehnung gestoßen und auf jede Menge Leute, die bereit waren, ihn mit allen möglichen Tricks um sein schnell schwindendes Geld zu bringen. Jedenfalls wurde ihm hier kein Neuanfang auf dem Silbertablett serviert. Ebenso wenig wie im Norden.
    Ein Boot kam nun in den Hafen, wurde am Kai vertäut, und Fischer wuselten darauf herum, zogen an Tauen und fluchten über das Segeltuch. Espe merkte, dass die anderen Verzweifelten plötzlich aufhorchten, und er fragte sich, ob hier vielleicht etwas Arbeit für sie drin war. Ein Fünkchen Hoffnung flackerte in seiner Brust auf, auch wenn er versuchte, es möglichst kleinzuhalten, und er stellte sich ein wenig auf die Zehenspitzen, um besser sehen zu können.
    Aus den Netzen glitten Fische auf das Kai, zuckendes Silber unter der wässrigen Sonne. Es war eine gute, ehrliche Arbeit, die Fischerei. Ein Leben auf den salzigen Wogen, wo keine harten Worte gesprochen wurden, sich alle Mann zugleich gegen den Wind stemmten, die schimmernde Beute der See abtrotzten und so. Ein edles Handwerk, jedenfalls versuchte Espe sich das einzureden, trotz des Gestanks. Jedes Handwerk wäre ihm inzwischen ziemlich nobel erschienen.
    Ein Mann mit einem Gesicht, so verwittert wie ein alter Torpfosten, sprang vom Schiff und stolzierte mit wichtiger Miene hinüber, und die Bettler schubsten sich gegenseitig weg, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Das war wohl der Kapitän, vermutete Espe.
    »Ich brauch zwei Hilfsarbeiter«, sagte er und schob die verwitterte Mütze in den Nacken, dann sah er die hoffnungsvollen, hoffnungslosen Gesichter an. »Du da und du.«
    Natürlich war Espe nicht darunter. Er ließ den Kopf wie alle anderen sinken, als er sah, wie die beiden Glücklichen hinter dem Kapitän zum Boot eilten. Der eine war der Dreckskerl, dem er sein Brot gegeben hatte. Der hatte sich nicht einmal zu ihm umgedreht, ganz davon zu schweigen, dass er ein gutes Wort für ihn eingelegt hätte. Mochte ja sein, dass das, was er anderen gab, einen Mann ausmachte, und nicht das, was er dafür erhielt – so wie Espes Bruder immer gesagt hatte. Aber wenn man mal etwas zurückbekam, dann half das schon sehr dabei, nicht zu verhungern.
    »Scheiß drauf.« Hastig rannte er

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