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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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packte einen niedrigen Ast, schlüpfrig vor Nässe, und hockte sich darunter, die rechte Hand gegen das nasse Hemd gedrückt, die nackten Knie zitterten.
    »Los«, murmelte sie und versuchte ihre verkrampfte Blase dazu zu bringen, sich zu lockern. »Wenn du musst, dann mach. Mach einfach. Mach …«
    Sie stöhnte vor Erleichterung, als Pisse zusammen mit dem Regen auf die Erde prasselte und den Abhang hinunterrann. Ihr rechtes Bein brannte noch mehr als zuvor, und die verdorrten Muskeln zitterten. Sie verzog gequält das Gesicht, als sie versuchte, ihre Hand auf dem Ast entlangwandern zu lassen und das Gewicht auf das andere Bein zu verlagern. In einem schrecklichen Augenblick rutschte ihr ein Fuß weg und sie fiel nach hinten, zog vor Schreck laut den Atem ein, und alles Denken wurde von der verworrenen Erinnerung des Fallens verdrängt. Sie biss sich auf die Zunge, als ihr Kopf auf den Boden schlug, dann rutschte sie ein oder zwei Schritte und blieb in einer nassen Senke voller verrottender Blätter liegen. Sie lag im plätschernden Regen, die Hosen um die Knöchel, und weinte.
    Es war ein deprimierender Augenblick, keine Frage.
    Sie heulte wie ein kleines Kind. Hilflos, achtlos, verzweifelt. Ihre Schluchzer schüttelten sie, erstickten sie, ließen ihren gequälten Körper erbeben. Sie wusste nicht mehr, wann sie das letzte Mal geweint hatte. Vielleicht nie. Benna hatte immer für sie beide geheult. Jetzt flossen all der Schmerz und die Angst eines Dutzends schwarzer Jahre aus ihrem verkniffenen Gesicht. Sie lag auf der Erde und quälte sich mit allem, was sie verloren hatte.
    Benna war tot, und alles Gute in ihr war mit ihm gegangen. Die Art, wie sie miteinander gelacht hatten. Das Verständnis, das aus einem gemeinsamen Leben erwachsen war, alles weg. Er war ihr Zuhause, ihre Familie, ihr Freund und mehr gewesen, und all das hatte man getötet. Ausgelöscht wie eine billige Kerze. Ihre Hand war zerstört. Sie hielt das schmerzende, verhöhnende Überbleibsel an die Brust gepresst. Die Art, wie sie einen Degen gezogen, eine Feder geführt, jemandem fest die Hand geschüttelt hatte, all das war von Gobbas Stiefel zertreten worden. Die Art, wie sie gegangen, gelaufen, geritten war, all das war bei dem Sturz von Orsos Balkon vernichtet worden. Ihr Platz auf der Welt, zehn Jahre Arbeit mit ihrem Schweiß und Blut, der Platz, für den sie gekämpft, geackert hatte, war wie Rauch vergangen. Alle Mühen, alle Hoffnungen, alle Träume.
    Tot.
    Sie zog den Gürtel wieder hoch, nahm dabei ein paar abgestorbene Blätter mit und schloss ihn mit viel Anstrengung. Ein paar letzte Schluchzer, dann zog sie den Rotz in der Nase hoch und wischte sich den Rest mit der kalten Hand weg. Das Leben, das sie geführt hatte, es war vorbei. Die Frau, die sie einmal gewesen war, gab es nicht mehr. Was sie zerstört hatten, ließ sich niemals wieder kitten.
    Aber es hatte keinen Zweck, jetzt deswegen zu heulen.
    Sie kniete auf der Erde, zitterte in der Dunkelheit, schwieg. Diese Dinge waren nicht nur verschwunden, man hatte sie ihr gestohlen. Ihr Bruder war nicht nur tot, man hatte ihn ermordet. Abgeschlachtet wie ein Tier. Sie zwang ihre verdrehten Finger, sich zu krümmen, bis sie sich zu einer bebenden Faust formten.
    »Ich werde sie umbringen.«
    Sie rief sich ihre Gesichter ins Gedächtnis, eines nach dem anderen. Gobba, das fette Schwein, wie er in den Schatten lauerte.
Eine Verschwendung von hübschem Fleisch.
Ihr Gesicht zuckte, als sie seinen Stiefel auf ihre Hand trampeln sah und fühlte, wie die Knochen splitterten. Mauthis, der Bankier, der mit seinen kalten Augen auf den Leichnam ihres Bruders starrte. Der Getreue Carpi. Ein Mann, der neben ihr marschiert, gegessen, gekämpft hatte, Jahr um Jahr.
Es tut mir wirklich leid.
Sie sah, wie sein Arm zurückfuhr, bereit, sie zu durchbohren, fühlte die Wunde an ihrer Seite pochen, drückte durch das nasse Hemd dagegen und bohrte ihre Finger hinein, bis die Stelle wie wild brannte.
    »Ich werde sie umbringen.«
    Ganmark. Sie sah sein weiches, müdes Gesicht. Zuckte, als sein Degen durch Bennas Körper glitt.
Das hätten wir.
Prinz Ario, der in seinem Sessel lümmelte, das Weinglas locker in der Hand. Sein Messer hatte Bennas Hals aufgeschlitzt, bis das Blut zwischen seinen Fingern hervorquoll. Sie erlebte jede Einzelheit noch einmal, erinnerte sich an jedes gesagte Wort. Auch an Foscar.
Ich will damit nichts zu tun haben.
Aber das änderte gar nichts.
    »Ich werde sie alle

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