Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
sehr, dass sie es klatschen hörte, als rechts von ihr, nicht weit entfernt, Vogeldreck herabfiel und die uralten Steine mit weißen, schwarzen und grauen Flecken besudelte.
    »Worauf warten sie alle?«, raunte sie Rogont fragend zu, wobei sie versuchte, die Lippen möglichst wenig zu bewegen.
    »Auf eine Rede.«
    »Ich?«
    »Wer sonst?«
    Eine Welle entsetzten Schwindels brandete über sie. Wenn sie die Menge richtig einschätzte, dann war sie ihr fünftausend zu eins überlegen. Aber sie hatte das Gefühl, dass es keinen so guten Eindruck machen würde, wenn ihre erste Amtshandlung als Regentin darin bestand, voller Panik von der Plattform zu fliehen. Also trat sie langsam vor, tat einen der schwersten Schritte, den sie je hatte gehen müssen, versuchte mühsam, ihre durcheinanderwirbelnden Gedanken zu ordnen und Worte hervorzuzaubern, die ihr in dem blitzkurzen Augenblick nicht einfallen wollten. Sie schritt durch Scarpius’ großen Schatten ins Tageslicht, und das Meer von Gesichtern tat sich vor ihr auf, neigte sich ihr entgegen, die weit geöffneten Augen voller Hoffnung. Das vereinzelte Gemurmel verebbte zu nervösem Geflüster und dann zu unheimlicher Stille. Sie öffnete den Mund, wusste aber immer noch nicht, was herauskommen würde.
    »Ich war nie jemand, der …« Ihre Stimme war allenfalls ein dünnes Quäken. Sie hustete, um die Kehle frei zu bekommen, spuckte den Rotz über ihre Schulter und erkannte sofort, dass sie das nicht hätte tun sollen. »Ich hatte nie viel übrig für große Reden!« So viel zumindest war offensichtlich. »Bin eher jemand, der gleich rangeht, statt lange drüber zu reden! Na ja, ich wurde auf einem Bauernhof geboren. Wir werden uns als Erstes mit Orso beschäftigen! Dafür sorgen, dass wir den Drecksack loswerden. Dann … na ja … dann sind die Kämpfe vorbei.« Ein seltsames Murmeln ging durch die Menge. Gelächelt wurde nicht direkt, aber viele sahen in die Ferne, mit feuchten Augen, und einige nickten. Sie war überrascht, dass sie selbst ein sehnsüchtiges Ziehen in der Brust spürte. Sie hatte vorher nie darüber nachgedacht, dass sie wollte, dass die Kämpfe zu Ende gingen. Sie hatte kaum jemals etwas anderes kennengelernt.
    »Frieden.« Und wieder ging das sehnsüchtige Raunen über den Platz. »Wir werden einen König haben. Ganz Styrien wird in eine Richtung gehen. Die Blutigen Jahre haben dann ein Ende.« Sie dachte an den Wind im Weizen. »Dann können wir vielleicht auch wieder dran denken, was anzubauen. Eine bessere Welt kann ich euch nicht versprechen, denn, na ja, die ist eben so, wie sie ist.« Sie sah verlegen auf ihre Füße und verlagerte das Gewicht von einem Bein aufs andere. »Ich kann euch aber versprechen, dass ich mein Bestes dafür tun will. Wir wollen versuchen, es so hinzubekommen, dass jeder hat, was er zum Leben braucht, und dann mal sehen, wie weit wir kommen.« Ihr Blick kreuzte den eines alten Mannes, der ihr ergriffen mit Tränen in den Augen und bebenden Lippen lauschte, die Hand an die Brust gedrückt.
    »Das ist alles!«, stieß sie kurz angebunden hervor.
     
    Jeder normale Mensch hätte sich an einem derart stickig heißen Tag etwas Leichtes angezogen, aber Murcatto, die ja immer alles anders machen musste als alle anderen, hatte sich prompt für eine komplette und auch noch geradezu albern ausgefallene Rüstung entschieden. Morveer blieb von daher nur die Möglichkeit, auf ihr ungeschütztes Gesicht zu zielen. Allerdings bot ein kleineres Ziel eine größere Herausforderung, und darin wiederum lag für einen Scharfschützen seiner überragenden Fähigkeiten auch wesentlich mehr Befriedigung. Er holte tief Luft.
    Zu seinem Entsetzen bewegte sie sich im entscheidenden Augenblick, sah auf die Plattform hinunter, und der Pfeil flog um Haaresbreite an ihrem Gesicht vorbei, um von einer der Säulen des alten Senatsgebäudes hinter ihr abzugleiten.
    »Verdammt!«, zischte er mit dem Mundstück seines Blasrohrs zwischen den Zähnen, suchte in seiner Tasche nach einem neuen Pfeil, zog dessen Kappe ab und ließ ihn sanft in die Kammer gleiten.
    Es war eine Unglückssträhne von jener Art, wie Morveer sie seit seiner Geburt immer wieder einmal hatte erdulden müssen, die nun dafür sorgte, dass Murcatto, gerade als er die Lippen wieder um das Rohr schloss, ihre Rede mit einem nachlässigen »Das ist alles!« beendete. Die Menge brach in wilden Applaus aus, und sein Ellenbogen wurde von einem begeistert klatschenden Bauern beiseitegestoßen,

Weitere Kostenlose Bücher