Racheklingen
Grüppchen führender Bürger – also die schlauesten und die gierigsten – hatte sich nervös in der Mitte der Plattform eingefunden. Sie schwitzten in ihren höchst erlesenen Kleidern und sahen sie mit dem hungrigen Blick an, die eine Gans auf eine Futterschale werfen mag. Sie verbeugten sich, als Monza und Rogont näher kamen, und ihre Köpfe wippten so einheitlich auf und nieder, dass sie das vermutlich geübt hatten. Gerade dieser Umstand reizte Monza noch mehr als alles andere.
»Erheben Sie sich«, knurrte sie.
Rogont streckte die Hand aus. »Wo ist der Stirnreif?« Er schnippte mit den Fingern. »Der Stirnreif, der Stirnreif!«
Der vorderste Bürger wirkte wie eine Karikatur eines weisen Mannes – Hakennase, schneeweißer Bart und tiefe, knarrende Stimme, dazu ein grüner Filzhut, der wie ein umgedrehter Nachttopf aussah. »Gnädige Frau, ich heiße Rubine und bin dazu ernannt worden, für die Bürger zu sprechen.«
»Ich bin Scavier.« Eine rundliche Frau, deren azurblaues Mieder in seinem Ausschnitt einen erschreckend üppigen Busen präsentierte.
»Und ich bin Grulo.« Ein großer, schlanker Mann, kahl wie ein Ei, der sich zwar nicht direkt vor Scavier drängte, aber zumindest dazu ansetzte.
»Unsere zwei einflussreichsten Kaufleute«, erklärte Rubine.
Rogont zeigte sich wenig beeindruckt. »Und?«
»Und, mit Ihrer Erlaubnis, Euer Exzellenz, wir hatten die Hoffnung, über einige Einzelheiten des Ablaufs noch einmal mit Ihnen sprechen zu können …«
»Ja? Immer raus damit!«
»Was den Titel betrifft, hatten wir gehofft, von einer Adelsbezeichnung Abstand nehmen zu können. Großherzogin schmeckt doch sehr nach Orsos Tyrannei.«
»Wir hofften …«, warf nun Grulo ein, der einen vulgär großen Ring am Finger trug, »auf etwas, in dem sich das Mandat der einfachen Leute widerspiegelt.«
Rogont sah Monza an und verzog das Gesicht, als ob der Ausdruck »einfache Leute« nach Pisse schmeckte. »Mandat?«
»Präsidentin vielleicht?«, schlug Scavier vor. »Erste Bürgerin?«
»Immerhin«, setzte Rubine hinzu, »ist der bisherige Großherzog zumindest rein praktisch gesehen … noch am Leben.«
Rogont knirschte mit den Zähnen. »Er wird in zwei Meilen Entfernung belagert wie eine Ratte in ihrem Loch! Es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis über ihn gerichtet werden wird.«
»Aber Sie verstehen sicherlich, dass es Probleme mit der Rechtmäßigkeit geben wird …«
»Rechtmäßigkeit?« Rogont sprach in wuterfülltem Flüsterton. »Ich werde demnächst König von Styrien sein, und ich gehe davon aus, dass die Großherzogin von Talins unter jenen sein wird, die mich krönen! Ich werde König sein, kapiert? Rechtmäßigkeit ist dann etwas, worüber andere sich Gedanken machen können!«
»Aber Euer Exzellenz, es könnte als unangemessen betrachtet werden …«
Zwar hatte man Rogont stets viel zu viel Geduld nachgesagt, aber offenbar hatte er in den letzten Wochen den Großteil davon verloren. »Wie angemessen wäre es wohl, wenn ich Sie zum Beispiel hängen lassen würde? Hier. Jetzt. Zusammen mit allen anderen zögerlichen Dreckskerlen in dieser Stadt. Dann könnten Sie miteinander über die Rechtmäßigkeiten streiten, während Sie baumeln.«
Die Drohung floss für einen langen, unangenehmen Augenblick zwischen ihnen dahin. Monza beugte sich zu Rogont und war sich dabei der vielen Augen, die auf sie gerichtet waren, nur zu bewusst. »Was wir in dieser Lage brauchen, wäre doch wohl ein wenig Einigkeit, oder nicht? Ich habe das Gefühl, dass Hinrichtungen vielleicht die falsche Botschaft vermitteln würden. Lassen Sie uns diese Angelegenheit jetzt einfach über die Bühne bringen, ja? Dann können wir uns alle in einem abgedunkelten Raum ein wenig ausruhen.«
Grulo räusperte sich bemüht. »Natürlich.«
»Eine lange Unterhaltung, um genau an dem Punkt aufzuhören, an dem wir begonnen haben!«, fauchte Rogont. »Geben Sie mir den verdammten Stirnreif!«
Scavier zog einen dünnen, goldenen Reif hervor. Monza wandte sich langsam zu der versammelten Menge um.
»Ihr Bürger Styriens!«, brüllte Rogont hinter ihr. »Vor euch steht die Großherzogin Monzcarro von Talins!« Sie fühlte leichten Druck, als er den Stirnreif auf ihren Kopf schob.
Und so einfach erreichte sie die schwindelnden Höhen der Macht.
Mit leichtem Rascheln knieten alle nieder. Auf dem Platz herrschte Stille, so sehr, dass sie die Vögel auf dem Giebeldreieck über sich flattern und krächzen hören konnte. So
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