Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
Seite zu bringen, und er ließ sie ständig von seinen Männern bewachen. Und so würde Espe warten müssen, bis die Zeit gekommen war. Aber er konnte Geduld haben. Es war, wie Carlot gesagt hatte. Gute Arbeit wird niemals … überhastet ausgeführt.
    »Halten Sie sich mehr in ihrer Nähe.«
    »Hä?« Kein Geringerer als der große Herzog Rogont, der in seinem toten Winkel aufgetaucht war. Espe musste sich beherrschen, damit er dem Kerl nicht die Faust in sein verächtlich verzogenes, hübsches Gesicht schlug.
    »Orso hat hier noch immer Freunde.« Rogonts Augen glitten nervös über die Menge. »Spione. Meuchelmörder. Überall lauern Gefahren.«
    »Gefahren? Die machen doch alle einen so glücklichen Eindruck.«
    »Soll das ein Witz sein?«
    »Wüsste doch gar nicht, was das ist.« Espe sah so gleichgültig drein, dass Rogont nicht sagen konnte, ob er gerade zum Besten gehalten wurde.
    »Näher ran! Sie sollen schließlich ihr Leibwächter sein!«
    »Ich weiß, was ich bin.« Damit zeigte Espe Rogont sein breitestes Grinsen. »Machen Sie sich darüber mal keine Sorgen.« Er schlug seinem Pferd die Fersen in die Flanken und trieb es voran. Näher zu Monza, so, wie man ihm befohlen hatte. So nah, dass er sehen konnte, wie fest sie die Muskeln ihrer Kinnpartie anspannte. So nah, dass er beinahe die Axt ziehen und ihr den Schädel hätte spalten können.
    »Ich weiß, was ich bin«, flüsterte er. Er war kein Ungeheuer. Er hatte nur die Nase voll.
     
    Im Herzen der Stadt, auf dem Platz vor dem alten Senatsgebäude, kam der Zug zum Stehen. Das Dach des mächtigen Hauses war schon vor Jahrhunderten eingefallen, die Marmorstufen waren gesprungen und mit Unkraut bewachsen. Die Abbilder vergessener Götter im Fries des riesenhaften Giebeldreiecks waren zu einem Gewirr von Klecksen verwittert, die lediglich noch einen Rastplatz für zahllose kreischende Möwen darstellten. Die zehn hohen Säulen, die den mächtigen Stein trugen, wirkten beunruhigend krumm und schief, von weißen Streifen Vogelkots geziert und mit den flatternden Überresten alter Plakate beklebt. Aber dennoch stellte dieser Überrest uralter Zeiten die kleineren Gebäude, die in seiner Nähe entstanden waren, mühelos in den Schatten und kündete von der verlorenen Majestät des Neuen Kaiserreichs.
    Ein Steg aus vernarbten Steinblöcken ragte von den Stufen in das Menschenmeer, das sich auf dem Platz versammelt hatte. An einer Seite stand die verwitterte Statue des Scarpius, viermal mannshoch, eine Figur, die der Welt demonstrativ die Hoffnung hinhielt. Seine ausgestreckte Hand war jedoch schon vor Jahrhunderten am Gelenk abgebrochen, und bisher hatte sich niemand gemüßigt gefühlt, sie zu ersetzen – ein passendes Symbol für die Verhältnisse in Styrien. Vor der Statue, auf den Stufen, vor den Säulen standen grimmige Wächter. Sie trugen das Kreuz von Talins auf ihren Waffenröcken, aber Monza wusste nur zu gut, dass es Rogonts Leute waren. Vielleicht würde Styrien demnächst zu einer großen Familie zusammenwachsen, aber Soldaten in osprianischem Blau wären hier immer noch nicht willkommen gewesen.
    Sie glitt aus dem Sattel und schritt durch eine kleine Gasse, die sich in der Menge aufgetan hatte. Die Menschen drängten sich gegen die Wachmänner, riefen ihr Worte zu, bettelten um ihren Segen. Als ob eine Berührung ihrer Hand ihnen irgendetwas gebracht hätte. Bisher hatte das niemandem je etwas Gutes gebracht. Sie hielt die Augen auf den Weg gerichtet, nach vorn, immer nach vorn, und ihr tat der Kiefer weh, weil sie die Zähne so sehr zusammenbiss. Immer noch wartete sie auf die Klinge, den Pfeil, den Bolzen, der ihr ein Ende bereiten würde. Sie hätte dafür getötet, in das süße Vergessen eintauchen zu dürfen, das ihr eine Pfeife geboten hätte, aber sie versuchte, sich zurückzuhalten – sowohl beim Spreu als auch beim Töten.
    Scarpius sah auf sie herab, als sie die Stufen hinaufeilte, und der Blick aus seinen flechtenverkrusteten Augenwinkeln schien zu sagen:
Konnten sie nichts Besseres finden als diese Schlampe?
Hinter ihm ragte das riesenhafte Giebeldreieck auf, und sie fragte sich, ob die hundert Tonnen Stein, die auf den Säulen ruhten, vielleicht ausgerechnet diesen Augenblick wählen würden, um nach vorn zu kippen und die ganze Herrscherriege Styriens auszulöschen, sie eingeschlossen. Ein nicht geringer Teil in ihr hoffte sogar darauf, dass damit dieser schwitzigen, klebrigen Quälerei ein schnelles Ende bereitet würde.
    Ein

Weitere Kostenlose Bücher