Racheklingen
schnell wieder in die andere Richtung stoßen konnte.
Die Dämmerung, die nun heraufzog, war die des Abends und nicht des Morgens, die Sonne versank hinter ihnen im Westen, als sie den gewundenen Weg entlangritten. Auf seiner einen Seite hatten die Männer überall dort, wo der Boden einigermaßen eben war, Zelte aufgestellt. Sie saßen in kleinen Grüppchen beim flackernden Licht der Lagerfeuer, aßen, tranken, flickten ihre Stiefel oder polierten ihre Rüstungen, und sie starrten Monza mit leeren Gesichtern an, als sie vorüberritt.
Vor einem Jahr hatte sie keine Ehrengarde gehabt, und jetzt folgte ihr auf Schritt und Tritt ein Dutzend handverlesener Soldaten Rogonts so eifrig wie ein Rudel junger Hunde. Es wunderte sie beinahe, dass sie bisher noch nicht versucht hatten, sie bis auf die Latrine zu begleiten. Der kommende König wollte um jeden Preis verhindern, dass sie noch einmal einen Berghang hinuntergeworfen wurde. Jedenfalls nicht bevor sie die Möglichkeit gehabt hatte, ihm auf den Thron zu helfen. Vor zwölf Monaten war es noch Orso gewesen, für den sie die Krone hatte sichern wollen, und Rogont war sein bitterster Feind gewesen. Für eine Frau, die gern an dem festhielt, wofür sie sich einmal entschieden hatte, hatte sie in den letzten vier Jahreszeiten einige Wendungen hinter sich gebracht.
Damals war Benna bei ihr gewesen, jetzt hatte sie Espe. Das hieß, kaum ein Gespräch und schon gar kein Lachen. Sein Gesicht war ein harter, schwarzer Schemen, in dem das blinde Auge funkelnd den letzten Schimmer des verlöschenden Lichts auffing. Sie wusste, dass er damit nichts sehen konnte, aber trotzdem hatte sie dauernd das Gefühl, dass es auf sie gerichtet war. Obwohl er kaum etwas sagte, hörte sie dennoch die ganze Zeit über:
Es hätte dich treffen sollen.
Auf dem Gipfel brannten Feuer. Lichtflecken auf den Berghängen, ein gelbes Glühen hinter den Mauern und Türmen, die sich schwarz davor abhoben. Rauchfahnen hingen am tiefen Abendhimmel. Die Straße machte eine weitere Biegung und endete dann vor einer Barrikade, die aus drei umgekippten Wagen errichtet worden war. Victus saß auf einem Feldstuhl, wärmte sich die Hände an einem Lagerfeuer, und die Sammlung gestohlener Ketten um seinen Hals schimmerte. Er grinste, als sie ihr Pferd zügelte, und ließ sich zu einem lächerlich übertriebenen Salut hinreißen.
»Die Großherzogin von Talins in unserem erbärmlichen Lager! Euer Exzellenz, Sie sehen uns beschämt. Hätte ich mehr Zeit gehabt, mich auf Ihren königlichen Besuch vorzubereiten, dann hätten wir den ganzen Dreck noch irgendwie beiseitegeräumt.« Damit öffnete er die Arme, als wolle er sie um das Meer aus aufgewühltem Schlamm, nacktem Fels und den Bruchstücken von Kisten und Wagen schlingen, das sich über den Berghang erstreckte.
»Victus. Die reine Verkörperung des Söldnergeistes.« Sie stieg steifbeinig aus dem Sattel, bemüht, sich den Schmerz nicht anmerken zu lassen. »Gierig wie eine Ente, tapfer wie eine Taube, treu wie ein Kuckuck.«
»Ich habe mich stets eher mit edleren Vögeln verglichen. Du musst die Pferde hier leider zurücklassen, wir gehen das letzte Stück durch die Gräben hinüber. Herzog Orso ist ein höchst ungnädiger Gastgeber und hat damit angefangen, alle Besucher, die sich zeigen, mit Katapulten zu beschießen.« Er klopfte etwas Staub vom Segeltuchstoff des Stuhls, auf dem er gesessen hatte, dann deutete er mit seiner beringten Hand auf das Sitzmöbel. »Vielleicht sollte ich dafür sorgen, dass ein paar von den Jungs dich hochtragen?«
»Ich gehe zu Fuß.«
Er sah sie mit spöttischer Verachtung an. »Und dabei wirst du sicher eine tolle Figur machen, davon bin ich überzeugt. Aber du hättest dich ja jetzt zum Zeichen deiner hohen Stellung auch in Seide kleiden können.«
»Kleider machen keine Leute, Victus.« Sie warf seinen vielen Juwelen nun selbst einen Blick spöttischer Verachtung zu. »Ein Stück Scheiße bleibt ein Stück Scheiße, egal, wie viel Gold man darauf häuft.«
»Oh, wie wir dich doch vermisst haben, Murcatto. Dann folge uns am besten.«
»Wartet hier«, herrschte sie Rogonts Leibwächter an. Dass diese Kerle die ganze Zeit hinter ihr herschlichen, ließ sie schwach erscheinen. Es sah so aus, als brauchte sie ihren Schutz.
Der Feldwebel wand sich. »Seine Exzellenz war höchst …«
»Scheiß auf seine Exzellenz. Wartet hier.«
Mit Espe an der Seite schritt sie einige knarrende Stufen hinab; sie bestanden aus alten
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