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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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der neben dem Eingang stand, in dem er sich verborgen hielt.
    Der tödliche Pfeil flog weit an seinem Ziel vorbei und verschwand in dem wogenden Durcheinander neben der Plattform. Der Mann, dessen wildes Herumgefuchtel dafür gesorgt hatte, dass er danebenschoss, sah sich um, das breite, fettige Gesicht voller Misstrauen. Nach seinem Äußeren zu urteilen, war er ein Arbeiter, mit Händen wie Kohlenschaufeln, und die Flamme des Intellekts hatte hinter seinen Schweinsäuglein ein nur sehr kleines Feuer angezündet.
    »He, was machst du da …«
    Dank des verdammten Proletariats war Morveers Versuch nun komplett gescheitert. »Ich bedauere ganz außerordentlich, aber wären Sie wohl so gütig, das hier ganz kurz festzuhalten?«
    »Hä?« Der Mann sah verwundert auf das Blasrohr, das ihm plötzlich in die schwieligen Pranken gedrückt worden war. »Ah!« Nun hatte ihn Morveer mit einer präparierten Nadel ins Handgelenk gestochen. »Was, zur Hölle, soll das?«
    »Ich bin Ihnen zu
größtem
Dank verpflichtet.« Morveer nahm das Rohr wieder an sich und schob es zusammen mit der Nadel in eine seiner vielen verborgenen Taschen. Die meisten Menschen brauchen lange, bis sie wirklich in Wut geraten, und gewöhnlich geht diesem Zustand ein vorhersehbares Ritual aus gesteigerten Drohungen, Beleidigungen, Drohgebärden, ersten Tätlichkeiten und so weiter voraus. Sofortiges Handeln ist ihnen völlig fremd. Und von daher fing der Ellenbogenschubser auch erst jetzt an, richtig grantig zu werden.
    »Hör mal!« Er packte Morveer am Jackenaufschlag. »Hör …« Seine Augen verschleierten sich. Er wankte, blinzelte, dann hing ihm die Zunge heraus. Morveer packte ihn unter den Armen, keuchte unter dem plötzlichen Gewicht des Toten, als der Mann zusammenbrach, und rang ihn zu Boden, wobei es ihn unangenehm im Rücken zwickte.
    »Geht’s ihm gut?«, fragte jemand grollend. Morveer hob den Blick und stellte fest, dass ihn ein halbes Dutzend Männer anstarrten, die seinem Opfer nicht ganz unähnlich waren.
    »
Insgesamt
zu viel Bier!«, rief Morveer über den Lärm und setzte ein falsches Kichern hinzu. »Mein Begleiter hier ist leider
ziemlich
angeheitert!«
    »Heiter, hä?«, fragte einer.
    »Betrunken!« Morveer beugte sich zu ihnen hinüber. »Er war so
überaus
stolz, dass nun die große Schlange von Talins zur Herrin unseres Schicksals wird! Sind wir das nicht alle?«
    »Joh«, brummte ein anderer, zwar offenbar verwirrt, aber zumindest teilweise beschwichtigt. »Klar. Murcatto!«, beschloss er den Satz etwas lahm, während seine naturtrüben Kameraden bestätigend grunzten.
    »In unserer Mitte geboren!«, brüllte wieder ein anderer und schwenkte die Faust.
    »Oh,
unbedingt
. Murcatto! Freiheit! Hoffnung! Erlösung von überbordender Dämlichkeit! So sieht es aus, mein Freund!« Morveer schnaufte, als er sich mit dem großen Mann, jetzt einer großen Leiche, abmühte und ihn in den Schatten des Eingangs zog. Gequält verzog er das Gesicht, als er den schmerzenden Rücken beugte. Und da die anderen ihn nicht mehr beachteten, tauchte er wieder in die Menge, wobei er jedoch vor Wut kochte. Es war unerträglich, dass diese Dummbeutel derart begeistert für eine Frau klatschten, die überhaupt nicht in ihrer Mitte geboren worden war, sondern vielmehr auf einem unkrautbewachsenen Flecken am äußersten Rand von Talins, wo die Grenze höchst beweglich war. Eine gewissenlose, hinterhältige, lügnerische Bäuerin, die einem die Gehilfen abspenstig machte, Massenmord beging und noch dazu die Angewohnheit hatte, sich ausgesprochen lautstark zu paaren, eine Diebin ohne den Hauch eines Gewissens, deren einzige Qualifikation als Befehlshaberin in ihrer mürrischen Art, ein paar Siegen gegen inkompetente Gegner, dem zuvor erwähnten Hang zu schnellem Handeln, einem Sturz von einer Felswand und einem zufällig höchst attraktiven Gesicht bestanden.
    Er musste wieder einmal erkennen, wie er es schon so oft getan hatte, dass das Leben für gut aussehende Menschen einfach viel, viel leichter war.

DAS FELL DES LÖWEN
    Vieles hatte sich verändert, seit Monza das letzte Mal nach Fontezarmo hinaufgeritten war und dabei mit ihrem Bruder gelacht hatte. Kaum zu glauben, dass das nur ein Jahr zurücklag. Das schwärzeste, verrückteste, blutigste Jahr ihres Lebens – eines Lebens, in dem es an Schwärze, Verrücktheit und Blut bisher nicht gemangelt hatte. Ein Jahr, das sie von einer Toten zur Herzogin gemacht hatte, das sie aber durchaus genauso

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