Racheklingen
verzichtete Espe darauf, ausdrücklich zu sagen, dass es sich nicht um sein eigenes Messer handelte. Je weniger geredet wurde, desto schneller kam er hier wieder raus.
»Und wie lautet nun wohl dein Name, mein Freund?« Das Wörtchen Freund klang nicht besonders überzeugend.
»Caul Espe.«
»Brrr.« Sajaam schüttelte die breiten Schultern, als sei ihm kalt, und seine Männer lachten beifällig. Leicht zu erheitern, so wie es aussah. »Du bist weit, weit weg von zu Hause, Mann.«
»Als ob ich das verdammt noch mal nicht wüsste. Ich habe eine Nachricht für dich. Nicomo verlangt deine Anwesenheit.«
Die gute Laune sickerte so schnell aus dem Raum wie Blut aus einer durchgeschnittenen Kehle. »Wo?«
»Am üblichen Ort.«
»Er verlangt sie, so?« Ein paar von Sajaams Leuten lösten sich von den Wänden, hielten ihre Hände aber weiter in den Schatten. »Das ist ja ganz schön dreist von ihm. Und wieso sollte mein alter Freund Nicomo einen großen weißhäutigen Nordmann mit einem Messer schicken, um mit mir zu reden?« Nun dämmerte es Espe, dass die Frau ihn vielleicht aus unbekannten Gründen ganz schön in die Scheiße geritten hatte. Ganz offensichtlich war sie nicht dieser Nicomo, von dem jetzt die Rede war. Aber er hatte in den letzten Wochen genug abfällige Bemerkungen gehört, und die Toten sollten ihn in ihre Mitte holen, bevor er noch mehr davon schlucken würde.
»Frag ihn selber. Ich bin nicht hierhergekommen, um Fragen zu beantworten, Alter. Nicomo verlangt deine Anwesenheit am üblichen Ort, und das ist alles. Und jetzt komm hoch mit deinem dicken schwarzen Hintern, bevor ich die Geduld verliere.«
Es folgte eine lange und hässliche Pause, in der alle Anwesenden nachdachten.
»Das gefällt mir«, grunzte Sajaam. »Wie gefällt dir das?«, fragte er einen seiner Schläger.
»Das ist schon in Ordnung, wenn man so was mag.«
»Gelegentlich. Große Worte und dicke Backen und echte Männlichkeit mit viel Haaren auf der Brust. In einer zu starken Dosis wird das schnell langweilig, aber ein kleines bisschen davon kann mir manchmal ein Lächeln entlocken. Also Nicomo verlangt meine Anwesenheit, ja?«
»Ja«, nickte Espe, dem nichts anderes übrigblieb, als sich von der Strömung treiben zu lassen und darauf zu hoffen, heil wieder ans Ufer zu gelangen.
»Na gut.« Der alte Mann warf seine Karten auf den Tisch und erhob sich gemächlich. »Es soll niemand sagen, der alte Sajaam hätte eine Schuld nicht zurückgezahlt. Wenn Nicomo ruft … dann soll es der übliche Ort sein.« Er schob sich das Messer, das Espe mitgebracht hatte, in den Gürtel. »Ich werde einstweilen darauf aufpassen, hmmm? Nur für kurze Zeit.«
Es war spät, als sie den Ort erreichten, den ihm die Frau gezeigt hatte, und der verwahrloste Garten war so finster wie ein Kellerloch. Soweit Espe das sagen konnte, war er auch genauso leer. Papierfetzen zuckten in der kühlen Nachtluft, alte Nachrichten hingen von den glitschigen Mauersteinen.
»Nun?«, fragte Sajaam brüsk. »Wo ist Cosca?«
»Sie hatte gesagt, sie würde hier sein«, murmelte Espe halb zu sich selbst.
»Sie?« Sajaams Hand lag auf dem Griff seines Messers. »Was, zur Hölle, willst du damit …«
»Hier drüben, du alter Sack.« Die Frau glitt hinter einem Baumstamm hervor und trat in ein wenig Licht, die Kapuze zurückgeschlagen. Jetzt sah Espe sie ganz deutlich; sie sah noch hübscher aus, als er gedacht hatte, und auch noch härter. Sehr hübsch und sehr hart, und eine deutliche rote Linie lief seitlich über ihren Hals, so wie die Narben, die man an gehängten Männern sah. Sie trug einen grimmigen Gesichtsausdruck – die Brauen zusammengezogen, die Lippen zusammengepresst, die Augen zusammengekniffen und auf einen Punkt gerichtet. Als ob sie sich entschlossen hätte, eine Tür mit dem Kopf einzuschlagen, und einen Scheiß darauf gäbe, was ihr dabei passierte.
Sajaams Gesicht war so schlaff geworden wie ein nasses Hemd. »Du lebst.«
»So schnell von Begriff wie immer, was?«
»Aber ich hatte gehört …«
»Nein.«
Es dauerte nicht lange, da hatte sich der alte Mann wieder im Griff. »Du solltest nicht in Talins sein, Murcatto. Nicht einmal hundert Meilen im Umkreis von Talins. Vor allem solltest du keine hundert Meilen in meiner Nähe sein.« Er fluchte in einer Sprache, die Espe nicht kannte, dann wandte er das Gesicht zum dunklen Himmel empor. »Gott, Gott, wieso hast du mich nicht ausgesandt, ein ehrliches Leben zu führen?«
Die Frau
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