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Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
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Konnte man nichts machen. Falls jemand einen Stein schleuderte oder einen Kessel heißen Wassers auskippte? Konnte man nichts machen. Wenn sie die Leiter wegstießen? Scheißpech, klar, aber wenn man danach Ausschau hielt, wurde man nur langsamer, und das machte einen frühen Abgang nur wahrscheinlicher. Also kletterte er weiter und atmete schwer durch die zusammengebissenen Zähne.
    Schon bald hatte er die Spitze der Leiter erreicht und kletterte darüber. Monza stand bereits auf dem Wehrgang, den Degen gezogen, und sah in den Inneren Hof hinab. Er konnte Kampfeslärm hören, aber aus größerer Entfernung. Ein paar Tote von beiden Seiten lagen hinter der Brustwehr. Ein Söldner saß gegen die Mauer gelehnt da, sein Arm war am Ellenbogen abgetrennt, und er hatte sich ein Seil um den Oberarm geschnürt, um nicht sofort zu verbluten. »Er ist über die Mauer gefallen, über die Mauer gefallen«, stöhnte er immer und immer wieder. Espe vermutete, dass er schon zur Mittagszeit tot sein würde, und er überlegte gleichzeitig, dass dieser Umstand bedeutete, dass es mehr Essen für alle gab. Man musste es von der erfreulichen Seite betrachten, oder nicht? Darum ging es doch bei dieser Sache mit dem Optimismus.
    Er zog sich den Schild vom Rücken und schob den Arm durch die Riemen auf der Rückseite. Dann befreite er die Axt aus der Schulterschlinge und ließ den Griff in der Hand herumwirbeln. Fühlte sich gut an. Wie ein Schmied, der seinen Hammer bereitlegt, um dann gleich mit seiner Arbeit anzufangen. Unter ihnen erstreckten sich weitere Gärten, auf Terrassen angelegt, die man in die Bergflanke geschlagen hatte, die jedoch nicht annähernd so zerstört aussahen wie das Gelände außerhalb der Mauern. Auf drei Seiten fassten Gebäude die Grünflächen ein. Jede Menge funkelnder Fenster und verspielter steinerner Verzierungen, Kuppeln und Türmchen, die sich aus den Dächern erhoben, mit Statuen und glitzernden Zacken übersät. War nicht weiter schwer, den Palast Herzog Orsos auszumachen, und das war auch gut so, weil Espe schließlich wusste, dass er keinen allzu scharfen Verstand hatte. Aber ein Gespür für Blut.
    »Los jetzt«, sagte Monza.
    Espe grinste. »Bin direkt hinter dir, Häuptling.«
     
    Die Gräben, die sich über die staubige Bergflanke zogen, waren verlassen. Die Soldaten, die sie zuvor bevölkert hatten, waren auf und davon, zurück in ihre Heimat oder bestrebt, die eigenen kleinen Rollen in den großen Ränkespielen um Macht und Einfluss zu übernehmen, die sich durch den vorzeitigen Tod von König Rogont und seinen Verbündeten ergeben hatten. Nur die Tausend Klingen waren noch da, und sie wimmelten nun hungrig durch König Orsos Palast wie Maden durch einen Leichnam. Schenkt hatte all das schon einmal gesehen. Treue, Pflichtbewusstsein, Stolz – insgesamt eher flüchtige Beweggründe, die sich Männer bei gutem Wetter gern leisteten, die aber schnell wie weggeblasen waren, sobald ein Sturm aufzog. Aber Gier? Auf Gier konnte man sich stets verlassen.
    Er schritt den gewundenen Pfad entlang und überquerte das von Kampfspuren durchzogene Gelände vor den Mauern, ging über die Brücke und kam dem hoch aufragenden Torhaus von Fontezarmo immer näher. Ein einzelner Söldner lümmelte auf einem Klappstuhl vor dem offenen Tor, den Speer neben sich an die Mauer gelehnt.
    »Was führt dich hierher?« Die Frage verriet kaum echtes Interesse.
    »Herzog Orso hat mich damit beauftragt, Monzcarro Murcatto, die jetzige Großherzogin von Talins, zu töten.«
    »Lächerlich.« Der Wachmann klappte sich den Kragen hoch, dass er die Ohren schützte, und lehnte sich wieder gegen die Wand.
    Oft glauben die Menschen alles andere eher als die Wahrheit. Schenkt dachte darüber nach, als er den langen Torweg durchquerte und schließlich den Äußeren Hof der Festung betrat. Die streng geordnete Schönheit der Formschnittgärten Herzog Orsos hatte sich komplett verflüchtigt, ebenso wie die gesamte nördliche Mauer. Aber so war der Krieg. Es gab ziemlich viel Durcheinander. Aber auch das war der Krieg.
    Der letzte Angriff war offenbar in vollem Gange. Leitern standen an der Mauer des Inneren Hofes, und unter ihnen lagen im zerstörten Garten zahlreiche Tote und Verletzte verstreut. Feldscherer waren dort unterwegs, verteilten Wasser, machten sich an Verbänden oder Schienen zu schaffen und betteten Männer auf Bahren. Schenkt wusste, dass nur wenige derer, die nicht mehr selbst kriechen konnten, überleben würden.

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