Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Racheklingen

Racheklingen

Titel: Racheklingen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joe Abercrombie
Vom Netzwerk:
fruchtigen Geruch, den man überhaupt nicht wahrnahm, wenn das Mittel in Wein oder Schnaps geträufelt wurde. Sorgfältig prägte sich Morveer genau ein, wo und wie jede Flasche stand und wie tief der jeweilige Korken hineingedrückt war, dann nahm er sie nacheinander heraus, ließ vorsichtig einen Tropfen aus seiner Pipette in den Hals fallen, setzte den Korken wieder auf und stellte die Flasche wieder genauso hin, wie er sie vorgefunden hatte. Er lächelte, als er Flaschen der verschiedensten Größen, Formen und Farben vergiftete. Diese Arbeit war wesentlich weniger originell als der Geniestreich mit der vergifteten Krone, aber deswegen nicht weniger verdienstreich. Er würde wie ein Zephyr des Todes durch dieses Zimmer wirbeln, ohne eine Spur zu hinterlassen, und diesem ekelhaften Säufer das wohlverdiente Ende bereiten. Wieder würde man von Nicomo Coscas Tod berichten, aber es würde wahrhaftig das letzte Mal sein. Nur wenige Menschen würden davon ausgehen, dass etwas anderes als der völlig verdiente und gemeinsinnige …
    Er erstarrte. Auf der Treppe waren Schritte zu hören. Schnell schob er den Korken in die letzte Flasche, stellte sie sorgfältig an ihren Platz und schoss durch eine enge Tür in eine dunkle, kleine Zelle, eine Art …
    Er rümpfte die Nase, als ihm ein kräftiger Uringeruch entgegenwehte. Die strenge Schicksalsgöttin ließ doch keine Gelegenheit aus, um ihn zu erniedrigen. Er hätte es wissen müssen, dass sich ihm ausgerechnet eine Latrine als Versteck anbieten würde. Nun konnte er nur darauf hoffen, dass Cosca nicht das dringende Bedürfnis überkam, seine Gedärme zu entleeren …
     
    Die Kämpfe an der Befestigungsmauer schienen ohne große Schwierigkeiten zu Ende gegangen zu sein. Zweifelsohne wurde im Inneren Hof weiter gekämpft, ebenso wie in den reich geschmückten Staatsräumen und den hallenden Marmorsälen von Herzog Orsos Palast. Aber von Coscas Ausguck oben im Wachtturm war davon nichts zu sehen. Und selbst, wenn er etwas hätte sehen können, welchen Unterschied hätte das gemacht? Wenn man einmal gesehen hat, wie eine Festung erstürmt wird, dann …
    »Victus, mein Freund!«
    »Hm?« Der letzte Oberhauptmann der Tausend Schwerter senkte das Fernrohr und sah Cosca wie immer mit misstrauisch zusammengekniffenen Augen an.
    »Ich würde sagen, der Tag ist unser.«
    »Ich würde sagen, da hast du recht.«
    »Wir beide können hier oben nichts mehr ausrichten, selbst, wenn wir etwas sehen könnten.«
    »Da sagst du ein wahres Wort, wie immer.« Cosca verstand das als Witz. »Jetzt ist der Rest unvermeidlich. Es bleibt nichts anderes mehr übrig, als die Beute zu teilen.« Victus strich geistesabwesend über die Ketten, die ihm um den Hals hingen. »Das liebe ich bei jeder Belagerung am meisten.«
    »Ein Kartenspiel?«
    »Warum nicht?«
    Cosca schob sein Fernrohr zusammen und ging als Erster die Wendeltreppe hinab zu der Kammer, die er okkupiert hatte. Er trat zu dem Schränkchen und öffnete die Intarsientüren. Die vielfarbigen Flaschen begrüßten ihn wie ein Grüppchen alter Freunde. Ah, ein Schnaps, ein Schnaps, ein Schnaps. Ein Glas zur Hand nehmend, zog er mit einem satten Plopp den Korken aus dem nächstbesten Behältnis.
    »Was trinken?«, rief er über seine Schulter.
    »Warum nicht?«
     
    Es wurde noch immer gekämpft, aber von einer organisierten Verteidigung konnte längst nicht mehr gesprochen werden. Die Söldner hatten alle Gegner von den Mauern geholt und aus den Gärten getrieben, und nun stürmten sie die Türme, die Gebäude, den Palast. Mehr und mehr quollen über die Leitern, verzweifelt darum bemüht, sich nichts von der Beute entgehen zu lassen. Niemand kämpfte entschlossener oder bewegte sich schneller als die Männer der Tausend Klingen, wenn sie Profit und Plünderung witterten.
    »Hier entlang.« Sie lief auf das Haupttor des Palastes zu, nahm genau denselben Weg wie an dem Tag, da man ihren Bruder getötet hatte, vorbei an dem runden Teich, in dem jetzt zwei Leichen mit dem Gesicht nach unten im Schatten der hohen Scarpiussäule trieben. Espe folgte ihr, und er trug noch immer das seltsame Lächeln, das schon den ganzen Tag auf seinen Zügen lag. Sie kamen an einer Gruppe Männer vorbei, die sich um eine Tür geschart hatten, die Augen hell leuchtend vor Gier, und die beherzt die Äxte gegen das Schloss schwangen; die Tür erbebte unter jedem Schlag. Als sie endlich aufflog, stolperten sie übereinander, schrien, brüllten, drängten sich

Weitere Kostenlose Bücher