Racheklingen
größtenteils beendet schienen – das Tor zum Inneren Hof war in den Händen der Söldner und stand weit offen –, drang immer noch leiser Kampfeslärm von den weiter innen liegenden Gärten. Ein äußerst ekliges Geschäft; er war froh, dass es keinen Grund für ihn gab, sich in die Nähe solcher Auseinandersetzungen zu begeben. Die Tausend Klingen hatten die Zitadelle eingenommen, und damit war Herzog Orsos Schicksal besiegelt, aber dieser Gedanke bereitete Morveer keine Kopfschmerzen. Große Männer kamen und gingen. Das war eben so. Doch ihm war die Bezahlung seiner Arbeit vom Bankhaus Valint und Balk garantiert worden, und das ging über einen einzelnen Mann und ein einzelnes Land hinaus. Das war nicht umzubringen.
Ein paar Verwundete waren auf einen Flecken kargen Grases gebettet worden, in den Schatten eines Baums, an den unerklärlicherweise eine Ziege gebunden war. Morveer verzog das Gesicht, schlich zwischen ihnen hindurch, die Lippen geschürzt angesichts der blutigen Verbände, der befleckten Kleidung, der großen Fleischwunden …
»Wasser …«, flüsterte ihm einer entgegen und umklammerte seinen Knöchel.
»Immer ist es Wasser!« Er riss sein Bein los. »Sucht euch doch welches!« Hastig trat er durch eine offene Tür in den größten Turm des Äußeren Hofs, in dem, wie er aus verlässlicher Quelle wusste, der Wachhauptmann der Festung sein Quartier gehabt hatte und in dem nun Nicomo Cosca residierte.
Er schlich durch die Düsternis der engen Gänge, die von den Schießscharten notdürftig erhellt wurden. Dann kroch er eine Wendeltreppe hinauf, schabte mit dem Rücken gegen den rauen Stein, die Zunge hart gegen den Gaumen gepresst. Die Tausend Klingen waren ebenso schlampig und leicht zu übertölpeln wie ihr Befehlshaber, aber Morveer war sich stets bewusst, dass ein unglücklicher Zufall genügte, um ihm den aberwitzig leichten Zugang, über den er sich gerade so freute, gründlich zu vermasseln. Vorsicht stand schließlich immer an erster Stelle.
Der erste Stock war zu einem Lager umfunktioniert worden, in dem schattendunkle Kisten standen. Morveer tastete sich weiter vor. Im zweiten Geschoss entdeckte er leere Stockbetten, die offensichtlich von den früheren Wachleuten der Festung benutzt worden waren. Nachdem er zwei weitere Runden die Wendeltreppe hinaufgestiegen war, drückte er vorsichtig mit dem Finger eine Tür auf und spähte durch den Spalt.
In dem runden Raum, der dahinter lag, befanden sich ein großes Himmelbett, Regale mit vielen beeindruckend aussehenden Büchern, ein Schreibtisch und mehrere Kleiderkisten, ein Rüstungsgestell, auf dem schimmernde Panzerungen hingen, ein Degenstand, in dem verschiedene Klingen steckten, ein Tisch mit vier Stühlen und einem Kartenspiel sowie ein großes Getränkekabinett mit Intarsientüren, auf dem einige Gläser standen. An einer Reihe Haken über dem Bett hingen verschiedene auffällige Hüte mit glitzernden Schmucknadeln, vergoldeten Bändern und großen Federn in allen Regenbogenfarben, die sich in dem leichten Windhauch bewegten, der durch das Fenster hineinwehte. Es war ganz unzweifelhaft das Gemach, das sich Cosca als Quartier gewählt hatte. Niemand sonst hätte es gewagt, derartig lächerlichen Kopfputz zu tragen, aber im Augenblick war von dem großen Säufer nichts zu sehen. Morveer schlüpfte hinein und drückte die Tür geräuschlos hinter sich zu. Auf leisen Sohlen schlich er zum Schränkchen, wich geschickt dem Zusammenstoß mit einem abgedeckten Melkeimer aus, der darunter stand, und öffnete mit sanftem Druck die Türen.
Morveer gönnte sich ein kleines Lächeln. Nicomo Cosca hätte sich sicherlich selbst als wilden und romantischen Außenseiter betrachtet, den keinerlei Gewohnheit fesseln konnte. Dabei war er so vorhersehbar wie der Lauf der Sterne und so berechenbar wie die Gezeiten. Die meisten Menschen änderten sich nie, und ein Säufer blieb immer ein Säufer. Die größte Schwierigkeit lag nun jedoch in der großen Auswahl verschiedener Flaschen, die er hier aufgereiht hatte. Man konnte nicht mit Sicherheit sagen, aus welcher er das nächste Mal einen Schluck nehmen würde. Morveer sah keinen anderen Ausweg, als die ganze Sammlung zu vergiften.
Er zog sich Handschuhe an und ließ die Grünsaatlösung vorsichtig aus seiner Innentasche gleiten. Sie war nur dann tödlich, wenn man sie verschluckte, und wie lange es brauchte, bis der Tod eintrat, hing stark vom Opfer selbst ab, aber sie hatte nur einen ganz leicht
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