Racheklingen
Berge erstiegen. Ich habe viele Flüsse überquert. Sogar ein Meer. Hab alles, was ich kannte, hinter mir gelassen und bin nach Styrien gekommen. Aber da stand ich und habe auf mich selbst gewartet, als ich vom Schiff kam, derselbe Mann, dasselbe Leben. Das nächste Tal ist nicht anders als das hier. Jedenfalls nicht besser. Ich denk mal, ich habe gelernt … mich an den Ort zu halten, an dem ich gerade bin. Der Mann zu sein, der ich nun einmal bin.«
»Und was bist du?«
Er sah auf die Axt, die auf seinen Knien lag. »Ein Mörder, würd’ ich sagen.«
»Das ist alles?«
»Ganz ehrlich? So ziemlich.« Er zuckte die Achseln. »Deswegen hast du mich doch in deine Dienste genommen, oder nicht?«
Sie sah missmutig zu Boden. »Was ist aus dem Optimisten geworden?«
»Kann ich nicht auch ein optimistischer Mörder sein? Mir hat einmal ein Mann gesagt – der Kerl, der meinen Bruder umgebracht hat, nebenbei bemerkt –, dass Gut und Böse immer davon abhängen, wo man selbst gerade steht. Wir alle haben unsere Gründe. Ob es anständige Gründe sind oder nicht, das hängt meist doch davon ab, wen man fragt, oder nicht?«
»Ist das so?«
»Ich hätte gedacht, gerade du würdest das so sehen.«
»Vielleicht habe ich das auch einmal. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Vielleicht sind das nur die Lügen, die wir uns selbst erzählen, damit wir mit dem, was wir getan haben, leben können.«
Espe konnte sich nicht zurückhalten, er platzte laut lachend heraus.
»Was ist denn so lustig?«
»Ich brauche keine Ausreden, Häuptling, das ist alles, was ich dir sagen will. Wie heißt das noch, wenn eine Sache auf jeden Fall passieren wird? Es gibt doch ein Wort dafür, wenn irgendwas nicht mehr aufzuhalten ist? Nicht zu verhindern, egal, was man tut?«
»Unvermeidlich«, sagte Monza.
»Das ist es. Das Unvermeidliche.« Espe kaute auf dem Wort so zufrieden herum, als sei es ein Stück besonders gutes Fleisch. »Ich bin zufrieden mit dem, was geschehen ist. Ich bin zufrieden mit dem, was kommt.«
Ein schriller Pfiff fuhr durch die Luft. Mit rasselnden Rüstungen und im Gleichtakt knieten sich die ersten Angreifer in Zwölfergruppen hin und nahmen die langen Leitern auf. Dann begannen sie vorwärtszurennen, in abartig schlechter Schlachtordnung, wie Espe fand, und glitten dabei auf dem schlammigen Gartengelände immer wieder aus. Andere folgten ihnen, nicht allzu beflissen; Scharfschützen mit Flachbogen, die versuchen sollten, die Bogenschützen oben auf den Zinnen zu beschäftigen. Es gab ein bisschen Keuchen und Stöhnen, ein paar »Standhaft!«-Rufe und alles, was dazugehörte, aber es war insgesamt ein eher ruhiger Angriff. Es hätte auch irgendwie nicht gepasst, wenn man beim Sturm auf eine Mauer Kriegsgeschrei ausgestoßen hätte. Was tat man dann, wenn man dort ankam? Man konnte ja schlecht den ganzen Weg die Leiter hinauf weiterbrüllen.
»Da gehen sie hin.« Espe blieb stehen, hob seine Axt und schwenkte sie über dem Kopf. »Los! Los, auf geht’s, ihr Ärsche!«
Sie hatten die Hälfte des Gartens durchquert, als Espe jemanden »Feuer!« schreien hörte. Keinen Augenblick später war ein klickendes Rasseln von der Mauer zu hören. Bolzen flogen zu den Angreifern hinab. Es folgten ein paar Schreie, Schluchzer, ein paar der Jungs fielen, aber die meisten rannten weiter voran, jetzt noch schneller als zuvor. Söldner, die selbst Bogen besaßen, knieten sich hin und schossen ihrerseits eine Salve ab, die von den Zinnen abprallte oder direkt darüber hinwegging.
Wieder war die Pfeife zu hören, und die nächste Gruppe lief los, jene, die die undankbare Aufgabe gezogen hatten, die Leitern hinaufzuklettern. Sie waren meist nur leicht bewaffnet, damit sie sich schnell und geschickt bewegen konnten. Die erste Gruppe hatte es bis an den Fuß der Mauer geschafft und begann, die Leitern aufzurichten. Einer der Männer fiel mit einem Bolzen im Hals, aber den anderen gelang es dennoch, das schwere Ding ganz anzulehnen. Espe sah, wie es nach vorn kippte und gegen die Brustwehr schlug. Andere Leitern waren ebenfalls so weit. Auf der Brustwehr war nun mehr Bewegung; Soldaten beugten sich hinüber und warfen Steine hinab. Bolzen nahmen die zweite Gruppe unter Beschuss, aber die meisten waren nun schon nahe an der Mauer, gruppierten sich, begannen zu klettern. Erst standen sechs Leitern, dann zehn. Die nächste, die angelegt wurde, brach entzwei, als sie gegen die Brustwehr prallte, und Holzstücke prasselten auf die
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