Racheklingen
gut konnte er sich noch an den Augenblick erinnern, da er sie zum ersten Mal erblickt hatte: eine Neunzehnjährige mit zerzaustem Haar, einem Degen an der Seite und hellen Augen voller Zorn, Trotz und einem kleinen, faszinierenden Hauch von Verachtung. Jetzt hatte ihr Gesicht etwas Hohlwangiges bekommen, und Schmerz hatte sich um ihren Mund eingegraben. Der Degen hing an der anderen Seite, und die rechte Hand, unter einem Handschuh versteckt, lag schlaff auf dem Knauf. Die Augen hatten ihre unnachgiebige Schärfe nicht verloren, und es lag noch mehr Zorn, noch mehr Trotz und weitaus mehr Verachtung in ihnen als früher. Wer hätte es ihr übelnehmen können? Cosca war längst mehr als verachtenswert, und das wusste er.
Tausendmal hatte er geschworen, sie umzubringen, aber er hatte in seinem Leben schon alle möglichen Eide gebrochen, und ihr Anblick löste keinerlei Wut in ihm aus. Stattdessen wallte in ihr eine Mischung aus Selbstmitleid, sentimentaler Freude und vor allem durchdringende Scham auf, als er in ihrem Gesicht lesen konnte, wie tief er gesunken war. Er fühlte den Schmerz in seiner Nase, hinter seinen Wangen; Tränen traten ihm in die brennenden Augen. Ausnahmsweise war er dankbar darüber, dass sie auch sonst immer tiefrot unterlaufen waren. Wenn er nun weinte, würde das nicht einmal jemand bemerken.
»Monza.« Er versuchte, sich den dreckigen Kragen zurechtzuzupfen, aber seine Hände zitterten zu sehr, als dass es ihm gelungen wäre. »Ich gebe zu, ich hatte gehört, du seist tot. Ich wollte natürlich Rache nehmen, aber …«
»Rache an mir oder für mich?«
Er zuckte die Achseln. »Im Nachhinein schwer zu sagen … auf dem Weg dahin habe ich mir einen Schluck genehmigt.«
»Dem Geruch nach mehr als einen.« Ein Hauch von Enttäuschung lag in ihrer Stimme, die sein Innerstes schmerzhafter durchbohrte, als Stahl es vermocht hätte. »Ich hatte gehört, du wärst endlich in Dagoska getötet worden.«
Es gelang ihm, den Arm genug zu heben, um ihre Worte wegzuwischen. »Falsche Gerüchte über meinen Tod gab es schon immer. Bei den meisten meiner Feinde war es reines Wunschdenken. Wo ist dein Bruder?«
»Tot.« Ihr Gesicht zeigte keine Regung.
»Oh. Das tut mir leid. Ich habe den Jungen immer gemocht.« Diese lügnerische, feige, hinterlistige Laus.
»Er mochte dich auch immer.« Sie hatten sich verabscheut, aber was spielte das für eine Rolle?
»Wenn seine Schwester mir auch so warmherzig gegenübergestanden hätte, dann wären die Dinge vielleicht ganz anders verlaufen.«
»Hätte und wäre … das führt uns doch nirgendwohin. Wir alle haben Dinge, die wir … bedauern.«
Sie sahen sich lange in die Augen, sie stehend, er auf den Knien. Es war nicht ganz das Wiedersehen, wie er es sich immer erträumt hatte. »Bedauern. Das bringt unser Geschäft so mit sich, hat Sazine immer gesagt.«
»Vielleicht sollten wir die Vergangenheit hinter uns lassen.«
»Ich kann mich kaum an den gestrigen Tag erinnern«, log er. Dabei lastete die Vergangenheit auf ihm wie die Rüstung eines Riesen.
»Also denken wir an die Zukunft. Ich hätte einen Auftrag für dich, falls du ihn annehmen willst. Ich vermute mal, du brauchst Arbeit?«
»Was denn für einen Auftrag?«
»Kämpfen.«
Cosca verzog das Gesicht. »Du hast immer viel zu gern gekämpft. Wie oft habe ich es dir gesagt? Ein Söldner sollte sich auf diesen Quatsch überhaupt nicht einlassen.«
»Ein Säbel ist dazu da, dass man mit ihm rasselt, nicht dazu, dass man ihn zieht.«
»Bravo, das ist mein Mädchen. Ich habe dich vermisst.« Die Worte entschlüpften ihm, ohne dass er nachgedacht hätte, und als er versuchte, seine Beschämung wegzuhusten, hustete er beinahe die halbe Lunge mit heraus.
»Hilf ihm hoch, Freundlich.«
Ein Mann war plötzlich an ihrer Seite aufgetaucht, während sie sprachen, nicht hochgewachsen, aber stark gebaut; ein Mann, der das Gefühl ruhiger Kraft vermittelte. Er hakte Cosca unter dem Ellenbogen ein und zog ihn mühelos auf die Beine.
»Das sind ein starker Arm und eine gute Tat«, gurgelte Cosca, den kurz wieder starke Übelkeit übermannte. »Freundlich heißt du? Bist du ein Menschenfreund?«
»Ein Sträfling.«
»Ich wüsste keinen Grund, weshalb ein Mann nicht beides sein sollte. Vielen Dank jedenfalls. Wenn du uns jetzt vielleicht die Richtung zeigen könntest, in der sich die nächste Taverne befindet …«
»Die Tavernen werden eine Weile ohne dich auskommen müssen«, sagte Vitari. »Auch wenn das
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