Rachekuss
mitgebracht, weil sie die Mathelehrerin verhexen wollte. Weil sie doch so schlecht in Mathe ist. Flora, mein ich.« Leticia warf ihrem Sohn einen strafenden Blick zu.
»Hör auf, solchen Unsinn zu erzählen. Deiner Schwester wurde ein übler Streich gespielt.«
»Ist Timo nicht der kleine Bruder von Xenia?«, fiel Carina ein. Lucas nickte.
Leticia stellte sich hinter Flora und schlang die Arme um sie.
»Lass mich«, schrie Flora, machte sich los und rannte aus der Küche. Sie hörte, wie Carina ihr folgte – die Einzige, deren Nähe sie im Moment ertragen konnte.
Es war halb zwei, als die Mädchen zurückkamen – und sie waren beide sturzbetrunken. Erst hatte Flora überhaupt keine Lust gehabt, das Haus zu verlassen, aber Carina, und Leticia hatte ihr recht gegeben, hatte gemeint, sie solle sich jetzt bloß nicht verstecken – das würde nur für weitere Gerüchte sorgen. Widerwillig war Flora mitgegangen. Die Mädchen hatten die erste Hälfte des Abends damit verbracht, sich gegenseitig zu bemitleiden, die zweite hatten sie im »Zirkel« verbracht, getrunken, zu tranceartigen Beats, die mit südamerikanischen Rhythmen gemixt waren, getanzt und sich dabei so ineinander verkeilt, dass jeder denken musste, ein lesbisches Pärchen in Ekstase vor sich zu haben. Einmal war ihnen auch Yannik über den Weg gelaufen, aber sie hatten ihn zu ignorieren versucht, und als das nicht gelang, seinen Beteuerungen nicht geglaubt, ihm täte es leid, was Flora heute passiert sei.
Das restliche Wochenende verbrachten Flora und Carina in tiefster Eintracht. Sie schliefen lange aus, versuchten diverse Rezepte gegen den Kater – Espresso mit Zitronensaft und große Mengen Gemüsebrühe zum Frühstück – und waren erstaunt, wie gut das half.
Ihre Gesprächsthemen kreisten immer um dieselben Dinge: Ob Yannik wirklich der Gerüchteküchenmeister war, wie Flora ihn wirkungsvoll in seine Schranken weisen konnte, wie es mit Carinas Mutter weitergehen sollte und ob Carina versuchen sollte, Udo zu kontaktieren. Leticia war mit Lucas glücklicherweise früh zu einem Fußballturnier aufgebrochen, Floras Vater musste sich um irgendwelche Firmengäste kümmern, die übers Wochenende in der Stadt geblieben waren.
»Die einzig gute Nachricht«, sagte Flora und rührte noch einen weiteren Löffel Zucker in ihren Espresso, »ist die, dass meine Eltern mir so eine Art vorzeitiges Geburtstagsgeschenk gemacht haben: Wir haben am Samstag für die Party sturmfrei. Sie sind bei Bekannten in Bamberg eingeladen, bleiben über Nacht und Lucas muss natürlich auch mit.«
»Hey, super!«, freute sich Carina. »Dann können wir ja die Feinheiten planen. Was kaufen wir zu trinken ein?«
»Ach so, ja«, Flora legte den Kopf neben ihren Arm auf die Tischplatte und gähnte, »ich habe 200 Euro bekommen, die wir für die Grundausstattung nehmen können.«
»200? Das ist großzügig!«
»Ich glaub, mein Vater kauft sich damit ein bisschen frei, weil er so selten da ist«, stöhnte Flora. »Aber egal, in diesem Fall soll’s mir recht sein.«
»Und was bekommst du sonst zum 18.?«
»Na, den Führerschein. Und dann krieg ich das Auto von meiner Mutter und sie kauft sich ein neues.«
»Minha princesa«, spottete Carina und ihr Brasilianisch hatte eine fränkische Färbung. »Wenn ich nach dem Abi als Entwicklungshelferin nach Angola gehe, werde ich in einer Lehmhütte wohnen und auf mageren Ochsen reiten. Ich arbeite in den Ferien ja öfter bei meinem Onkel, der ist doch Bauunternehmer, und deshalb weiß ich alles, alles, alles…«, sie grinste spöttisch, »…darüber, wie man ganze Dörfer bauen kann.«
Flora riss erstaunt die Augen auf. »Was? Du gehst nach Angola? Was willst du denn da?«
»Keine Ahnung, irgendwie fasziniert mich das Land. Ich wollte schon immer nach Afrika. Hey, in Angola ist doch Portugiesisch Amtssprache – kannst du mir nicht ein bisschen was beibringen?«
»Ich find das nicht so witzig«, sagte Flora plötzlich ernst. »So weit weg. Und was wird aus mir?«
»Du gehst doch eh nach Rio zurück.«
»Na ja, mal sehen. Ich dachte, wir suchen uns zusammen eine Studentenbude, in Bamberg oder München oder so, und studieren zusammen was Schönes.«
»Ich fühle mich geehrt, dass ich dein Heimweh so schnell kuriert habe.«
Flora rutschte tiefer auf ihrem Stuhl und sah durch das Küchenfenster in den Garten hinaus, wo trostlose Baumgerippe sich leicht im Wind wiegten.
»Ach, ich weiß auch nicht. Ich bin irgendwie so…« Sie
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