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Rachekuss

Rachekuss

Titel: Rachekuss Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bettina Broemme
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vollkommen ratlos. Was war geschehen? Sie konnte sich an nichts erinnern. Der Tag – ein schwarzes Loch. Wo war sie und wie war sie hierhergekommen? Unter ihren Fingern spürte sie eine Unebenheit. Quer über ihre Wange. Mit den Fingerkuppen fuhr sie vorsichtig darüber. Nicht vorsichtig genug.
    »Ay«, schrie sie auf. Sah Blut unter ihren Nägeln, presste erneut die Hand auf die Stelle, fühlte Flüssiges. In ihrer Hosentasche fand sie ein zerknülltes Taschentuch und presste es auf die Wunde, die leise klopfte. Und schon wieder lenkte eine neue Wahrnehmung sie ab: Wieso war ihre Hose offen? Sie rappelte sich hoch, es ging schon besser jetzt, und wankte den Weg vom See zurück in Richtung Wald. Als sie das Gefühl hatte, ihre Wange blute nicht mehr, steckte sie das Taschentuch zurück und wollte ihre Hose schließen. Etwas zog an ihrem Schamhaar, sie quietschte empört und dann wurde ihr klar, dass es der Reißverschluss war – und dass ihr Slip fehlte.
    Flora ging erneut in die Knie. Sie drosch mit den Armen auf den kiesigen Boden, sie weinte und schrie und Rotz und Blut und Tränen vermischten sich in ihrem Gesicht. Sie legte sich ganz flach hin und nur ein Zittern lief noch durch ihren Körper. Warum nicht einfach sterben hier?
    Sie wusste nicht, wie lange sie schon so dalag, schreckte aber auf, als sie ein lautes Atmen dicht an ihrem Ohr hörte.
    Bringt mich einfach um, bringt es zu Ende, dachte sie und drehte sich ergeben auf den Rücken. Etwas Nasses fuhr über ihr Gesicht.
    »Aus, Elsbeth«, hörte sie eine Stimme. »Komm her.« Endlich traute sie sich, die Augen zu öffnen. Vor ihr ragte der kantige Unterkiefer eines goldbraunen Hundes auf, ein Speichelfaden tropfte genau auf ihre Stirn. Angewidert wischte sie den Sabber weg und richtete sich auf. Der Hund sah sie liebevoll an.
    »Elsbeth«, hörte sie wieder die Stimme und dann kamen Schritte näher.
    »Ja, wos’n des?«, fragte ein kleines Männchen undefinierbaren Alters. Unter seinem grünen Jägerhut ragte schlohweißes Haar hervor, auf der winzigen Nase trug er eine dicke, schwarz gerahmte Brille, die die Augen irrwitzig vergrößerte, und ein weißer Bart hing über einen trachtengrünen Lodenjanker bis auf die schmale Brust hinunter. Das Männchen war rasch bei ihr und half ihr beim Aufstehen.
    »Ja, junge Fraa, was mochen’s denn dau?«, fragte er im derbsten Fränkisch. »Is doch vill zu kalt für die luftige Bekleidung, die Sie ham.« Flora schüttelte den Kopf.
    »Is des Ihre?«, fragte der Mann und schlenkerte Floras Tasche vor ihrem Gesicht. »Die lag dahinten auf’m Wech.«
    »Ja. Nein. Ich weiß nicht, ich weiß es nicht«, flüsterte sie. »Ich will nach Hause, bitte, bringen Sie mich heim.«
    Es war erst kurz nach halb neun, als Flora mit einem heißen Tee und in eine Decke gewickelt auf dem Sofa ihres Elternhauses saß. Carina fuhr ihr sanft mit den Fingern über den Unterarm und schwieg hauptsächlich.
    Der Hundebesitzer hatte Flora mit zu seinem kleinen, alten Häuschen unweit des Dechsendorfer Weihers gebracht und ihr dann ein Taxi herbeitelefoniert. Einen Krankenwagen hatte sie abgelehnt – sie wollte heim, nur heim, in eine Umgebung, die ihr bekannt und vertraut war, wo ihr nichts passieren konnte.
    »Und du kannst dich wirklich an gar nichts erinnern?«, fragte Carina nun behutsam. Flora schüttelte den Kopf. Und keine Haare flogen mit.
    »Ich weiß nichts. Überhaupt nichts.« Sie sah an die Decke und biss sich auf die Unterlippe. Dann nahm sie noch einen Schluck heißen Tee und sah ihrer Freundin in die Augen.
    »Weißt du, das ist wie ein großes schwarzes Loch, abgrundtief. Ich kann mich nicht einmal erinnern, dass wir uns heute Morgen getroffen haben.«
    Carina hatte Flora erzählen müssen, was geschehen war, bevor sie sich gegen Mittag getrennt hatten. Dass sie bei Mr Bleck gewesen waren, ein wenig gelernt hatten, dann aufgebrochen seien und sich vor dem Café voneinander verabschiedet hatten. Carina war zur Drogerie gegangen und Flora wollte nach Hause.
    Flora versuchte, sich zu konzentrieren, so gut es ging. Aber ihr Kopf schmerzte und sie spürte nur, wie ihre Gedanken zerfaserten.
    »Ähm.« Carina räusperte sich leicht verlegen. »Ich frage jetzt nur, um sicherzugehen, dass ich dir wirklich helfen kann: Ist dir so etwas früher schon mal passiert? So ein Blackout?«
    Flora sah sie entrüstet an. »Nein, natürlich nicht.«
    »Na, oder vielleicht hast du eine Amnesie. Vielleicht hast du noch wen getroffen und ihr

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