Rachekuss
klang nicht sehr ermunternd. Yannik sah zu Boden.
»Es tut mir leid, dass ich dich neulich so blöd angemacht habe. Ich war einfach… enttäuscht. Flora, echt, du bist…« Flora legte den Zeigefinger auf ihre Lippen.
»Pscht. Sag mir, wie du mir hättest helfen können.«
»Na, ich kann dir zum Beispiel sagen, was ich im Café gesehen habe, letzten Mittwoch.«
»Okay.« Flora lächelte endlich.
Yannik kniff seine Augen zusammen und es schien, als spiele sich die Szenerie des letzten Mittwochs in seinem Kopf ab wie eine Kinoprojektion.
»Carina und du, ihr wart schon da. Ihr habt Prosecco oder irgend so was getrunken. Ihr habt ziemlich ausgelassen gewirkt. Nach Büffeln sah das nicht gerade aus. Dann kam dieser Typ an eurem Tisch vorbei, ein Schwarzer. Und irgendwie – das konnte ich nicht genau sehen – hat er wen von euch wohl versehentlich angerempelt und du warst mit Prosecco bekleckert. Du bist dann aufs Klo und ich hab schon überlegt, dir zu folgen. Aber… ich hab mich nicht getraut.« Er sah sie flehentlich an.
»Und weiter?«, fragte sie, alles andere ignorierend.
»Nix weiter. Du kamst zurück, ihr habt euren Kaffee ausgetrunken und ihr seid zusammen gegangen. Da kam gerade Jörgi, weißt schon, mein Volleyball-Kumpel, und ich bin geblieben.«
Flora überlegte. »Der Schwarze – wie sah der aus?« Yannik konnte keine besonders gute Beschreibung abliefern.
»Aber mir fiel auf, dass er gar nicht ins Café passte. Der hatte so eine weiße, schmuddelige Latzhose an, so eine Bauarbeiterhose. Und er hatte auch keinen Coffee to go oder so in der Hand. Der kam rein und dann ging er wieder.«
Flora ließ sich rückwärts auf ihr Bett fallen. Sie betrachtete die weiße Decke und hoffte inständig, eine Geisterhand würde eine Erklärung darauf schreiben. Sie selbst konnte sich an nichts erinnern. Außer an das schwarze Gesicht, das sie nun wenigstens einigermaßen einordnen konnte.
»Mann«, stöhnte sie und richtete sich wieder auf. »Ich werde noch verrückt! Das passt doch alles nicht zusammen! Kannst du mir sagen, was das alles soll?«
Yannik zuckte ratlos die Achseln.
»Ich kann dir nur eins sagen…« Er setzte sich nun doch neben Flora aufs Bett. »Ich habe mit der ganzen Geschichte nichts zu tun. Hochheiliges Ehrenwort! Warum sollte ich dir auch so was antun?«
»Ich glaub dir ja.« Flora wollte am liebsten mit den Fingerkuppen die Linie seines Gesichts nachziehen. »Aber was war mit dieser Natalie?«
»Natalie?«
»Na, die jetzt in den USA oder so ist. In die du so verliebt warst.«
Yannik sah sie verständnislos an. »Ich kenne keine Natalie. Echt nicht.«
Flora schüttelte verwirrt den Kopf.
»Aber Carina hat mir erzählt, dass du mal so furchtbar in eine Natalie verliebt gewesen wärst und der, na ja, nachgestellt hättest.«
»Bullshit. So ein Quatsch!« Yanniks Wangen nahmen eine rote Färbung an. »Deine Freundin erzählt manchmal ganz schön hanebüchene Geschichten. Die hat echt eine lebendige Fantasie. Ich an deiner Stelle würde der nicht alles glauben.«
»Aber…« Flora wusste nicht, was sie sagen sollte.
»Aber…«, wiederholte Yannik. »Aber ich finde, wir sollten einfach mal alles vergessen und uns schöneren Dingen zuwenden.« Und ehe Flora etwas einwenden konnte, spürte sie schon seine Lippen auf den ihren.
Ablenkung, dachte sie. Genau, das ist es, was ich jetzt brauche.
»Flora, Abendessen«, schrie da jedoch Lucas und riss die Tür auf. »Und der da kann auch mitessen, wenn er will.«
Yannik stöhnte genervt auf.
»Nee, danke, lass mal. Darauf habe ich gerade überhaupt keinen Bock.«
12. Kapitel
Auszug aus dem psychiatrischen Gutachten, Prof. Dr. W. Metzler vom 02.12. d. J.:
»…Die Patientin berichtet von den immer wiederkehrenden starken Emotionen, denen sie sich hilflos ausgeliefert fühle und die zu Krisen führten. Oft wisse sie nicht, welche Namen sie diesen Emotionen geben solle. Kleinigkeiten genügten oft, sie aus dem Gleichgewicht zu bringen, und sie könne sich dann nur schwer kontrollieren. (…) Affektive Instabilität führt dazu, dass Betroffene selbst mit kleinen Kränkungen oder vermeintlichen Blamagen nicht umgehen können. Die gleichzeitig einsetzende Scham über diese Unfähigkeit des Umgangs mit solchen Situationen verstärkt die Instabilität zudem…«
»Glaub mir! Du musst mir glauben! Bitte!« Die Stimme der jungen Frau hallte durch den ganzen Raum. Doch der etwa gleichaltrige Mann kehrte ihr einfach den Rücken zu. Die Frau
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