Rachekuss
dem Couchtisch. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf.
»Ist ja blöd, dass die Polizei auch nichts groß machen kann«, sagte Carina. »Ich zermartere mir echt das Hirn, wer dir so was antun könnte. Ich komm einfach auf nichts Einleuchtendes.«
»Ich will es gar nicht mehr wissen«, flüsterte Flora kaum vernehmbar und starrte weiter nach unten.
»Also, wenn was ist – sag Bescheid! Ich bin für dich da, weißte ja. Auch wenn…« Sie brach ab. Flora hob den Kopf und ihr Blick wirkte ein wenig lebendiger.
»Wenn was?«, fragte sie. Carina winkte ab.
»Passt schon.«
»Nein, komm, sag«, beharrte Flora.
»Ach, mit Udo läuft es schon wieder nicht mehr«, sagte sie merkwürdig unbetont.
»Wie – was läuft da nicht?«
»Er ist wieder weg.«
»Scheiße!«, entfuhr es Flora. »Das gibt’s doch gar nicht! Der Typ hat aber auch einen Knall, oder? Das ist doch noch nicht mal eine Woche her, dass er wieder eingezogen ist.« Sie spürte, wie gut es ihr tat, sich endlich einmal nicht mit ihrem eigenen Unglück zu befassen.
»Ja, schon«, stimmte Carina zu. »Aber keine Ahnung, was die beiden sich immer gegenseitig vormachen und antun. Fakt ist – er ist fort. Auf Nimmerwiedersehen. Und ich bin fast froh, wenn es dabei jetzt bleibt. Dieses ewige Hin und Her, das hält ja kein Mensch aus.«
»Und deine Ma?«
Carina sah mit leerem Blick in den Garten.
»Na ja, geht so. Hat ja ihre bekannten und bewährten Methoden des Vergessens. Die strapaziert sie natürlich wieder ziemlich.«
»Willst du hierbleiben?«
Carina schüttelte den Kopf.
»Nee, lass mal. Muss mal schauen gehen, ob sie noch lebt.« Sie lachte gequält.
»Mann, Flora, womit haben wir das nur verdient? Wir hätten uns so eine schöne Zeit hier machen können – und jetzt ist überall die Kacke am Dampfen. Ich versteh das echt nicht.«
Die Mädchen kuschelten sich aneinander. Flora streichelte über Carinas feines Haar.
»Du eine Tiermörderin – das ist schon ganz schön fies«, flüsterte Carina.
»Tja, passt zur Voodoo-Priesterin, findste nicht?« In Floras Stimme war leichter Sarkasmus zu hören. Noch hatten sie sie nicht ganz fertiggemacht. Noch war da ein Funken in ihr, den niemand zum Erlöschen bringen konnte. Zumindest bisher.
13. Kapitel
Auszug aus dem psychiatrischen Gutachten, Prof. Dr. W. Metzler vom 02.12. d. J.:
».… Die Frage, wer sie sei, kann die Patientin nicht beantworten. Auch nach ihren Zielen und Vorstellungen für die nächsten Jahre befragt, gibt sie keine Antwort. Sie lebe immer wieder in ihrer Vergangenheit, kenne keine Zukunft und leide in der Gegenwart. (…) Die Patientin folgt in ihrem Handeln allein emotionalen Impulsen und sie ist nicht fähig, die Folgen ihrer Handlungen für sich und andere zu überschauen oder gar kritisch einzuschätzen.…«
Am Abend, als Theo Harnasch gegen halb zehn von seiner Konferenz zurückkam, saß die ganze Familie vor einer Quizshow. Etwas Seichtes war das Einzige, was sie alle im Moment ertragen konnten.
Immerhin hatte Schmittberger am späten Nachmittag Bescheid gegeben, dass das Video von der Internet-Seite gelöscht und die Facebook-Seite gesperrt worden war. Flora hatte einmal kurz ihr Handy eingeschaltet, das gar nicht all die SMS hatte abspeichern können, die eingegangen waren. Ohne sie zu lesen, löschte Flora den kompletten Eingang und schaltete dann ihr Handy wieder aus. Zudem loggte sie sich an ihrem Computer in ihren Mailaccount ein und löschte kurzerhand das Konto. Bei einem anderen Anbieter meldete sie sich neu an und schickte den Menschen, die ihr wichtig waren, die neue Adresse. Dieses Aufräumen tat ihr gut, es gab ihr ein klein wenig das Gefühl, wieder selbst Herrin über das Geschehen zu sein.
Theo sah müde aus, er hatte tiefe Ringe unter den Augen und sein besorgter Blick auf Flora ließ ihn noch älter aussehen. Als Lucas ins Bett geschickt worden war, setzte er sich zu seiner Tochter aufs Sofa und schaltete den Fernseher aus.
»Flora«, begann er zögerlich. »Ein Kollege hat mir heute die Nummer eines sehr, sehr guten Therapeuten hier in Erlangen gegeben.«
»So was brauch ich nicht«, brauste Flora auf.
»Hör mir doch erst mal zu.«
Sie griff nach einem Sofakissen und umklammerte es wie einen Schutzschild.
»Es geht doch nur darum«, Theo bemühte sich, ruhig zu bleiben, »dass du einmal mit jemandem besprichst, was dir alles passiert ist. Dass ein Außenstehender dir einen Rat geben kann, wie du dich in dieser Situation am besten
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