Rachel im Wunderland: Roman (German Edition)
nicht eine einzige Runde selbst bezahlt.«
»Ich bin arbeitslos!«, brüllte sie. »Ich bin arm! Was soll ich denn machen?«
»Schon gut. Schon gut«, sagte ich beschwichtigend. Bloß keinen Streit. Außerdem stimmte ich ihr zu. Paul war der knauserigste Mensch unter der Sonne. Sogar Mum hatte einmal gesagt, dass Paul sein Abendessen in einer Schublade verstecken und sich eine Apfelsine in der Hosentasche schälen würde. Und obwohl sie zu dem Zeitpunkt einen sitzen hatte – sie hatte ein kleines Radler getrunken –, meinte sie es ernst.
»Gott, was für ein Gedanke!« Helen lächelte mir zu und machte es sich auf dem Bett bequem. Es sah so aus, als wollte sie eine ganze Weile bleiben. »Meine Schwester! Hat ’ne Schraube locker und kommt in die Klapsmühle.«
»Das ist keine Klapsmühle«, widersprach ich schwach. »Es ist eine Kurklinik.«
»Eine Kurklinik«, spottete sie. »Das ist nur ein feiner Name für Klapsmühle. Damit kannst du keinen täuschen.«
»Du hast das ganz falsch verstanden«, wandte ich ein.
»Die Leute werden auf die andere Straßenseite gehen, wenn sie dich sehen«, sagte sie fröhlich. »Und dann sagen sie: ›Das ist eine von den Walshs. Die ist nicht ganz richtig im Kopf, deswegen musste sie eingesperrt werden.‹ Du wirst schon sehen.«
»Hör auf damit.«
»Und die Leute kriegen das dann nicht auf die Reihe wegen Anna, und dann fragen sie: ›Welche von den Walshs? Ich habe gehört, dass mindestens zwei von denen nicht mehr ganz klar im Oberstübchen sind und ...‹«
»Popstars gehen da auch hin«, unterbrach ich sie und spielte meinen Trumpf aus.
Das verfehlte seine Wirkung nicht.
»Wer?«, fragte sie.
Ich nannte ein paar Namen, und sie war sichtlich beeindruckt.
»Stimmt das?«
»Natürlich.«
»Woher weißt du das?«
»Hab ich in der Zeitung gelesen.«
»Und wieso weiß ich das nicht?«
»Weil du nie die Zeitung liest.«
»Nicht? Stimmt, wozu soll ich auch die Zeitung lesen.«
»Vielleicht wüsstest du dann auch, dass Popstars zur Behandlung nach Cloisters gehen«, sagte ich von oben herab, was mir einen bösen Blick von Helen eintrug.
»Sei doch still, du Klugscheißerin«, sagte sie. »Du wirst noch von deinem hohen Ross runterkommen, wenn du erst mal in der Gummizelle sitzt und in einer von diesen hübschen Zwangsjacken steckst.«
»Ich komme nicht in eine Gummizelle«, sagte ich. »Statt- dessen werde ich mit berühmten Leuten am Tisch sitzen.«
»Meinst du wirklich, dass Popstars sich da behandeln lassen?« Sie war jetzt richtig aufgeregt, obwohl sie versuchte, das nicht zu zeigen.
»Ja.«
»Wirklich?«, fragte sie abermals.
»Ja, wirklich.«
»Wirklich, wirklich?«
»Wirklich, wirklich!«
Einen Moment lang sagte sie nichts.
»Nicht schlecht.« Sie klang beeindruckt.
»Hier, kannst du aufessen.« Sie streckte mir das Cornetto hin.
»Nein, schönen Dank.« Bei dem Gedanken an Essen wurde mir schlecht.
»Das ist kein Angebot, das ist ein Befehl«, sagte sie. »Ich sage dir, ich kann keine Cornettos mehr sehen. Jedes Mal sage ich zu Dad, er soll Magnums mitbringen, und jedes Mal kommt er mit diesen bescheuerten Cornettos an. Außer einmal. Was bringt er da? Magnum Mint. Ich bitte dich, Mint ...«
»Ich möchte es nicht.« Ich schob die Hand mit dem Cornetto weg.
»Wie du willst«, sagte Helen schulterzuckend und legte das Eis auf meinen Nachttisch, wo es zu zerlaufen begann. Ich wandte mich schöneren Gedanken zu.
»Während ich mich also mit Leuten wie Madonna anfreunde«, sagte ich gelassen, »sitzt du ...«
»Du spinnst doch, Rachel«, unterbrach sie mich. »Aber das ist ja wahrscheinlich einer der Gründe, warum sie dich dahin schicken: weil du spinnst...«
»Was meinst du damit?« Diesmal fuhr ich dazwischen.
»Na ja«, sagte sie und lächelte nachsichtig. »Sie werden die berühmten Leute wohl kaum mit den anderen zusammen unterbringen, oder? Man muss doch deren Privatsphäre schützen. Sonst würden Leute wie du ja zu den Zeitungen gehen, sobald sie wieder draußen sind, und deren Geschichten verkaufen. Sex in meiner Kokainhölle und so was.«
Sie hatte recht. Ich war enttäuscht, aber nicht übermäßig. Schließlich würde ich die Berühmtheiten bei den Mahlzeiten und den geselligen Abenden treffen. Vielleicht wurden auch Tanzabende veranstaltet.
»Und sie haben bestimmt bessere Zimmer und bekommen besseres Essen«, sagte Helen, was mich noch unglücklicher machte. »Du kriegst das nicht, weil Dad viel zu geizig ist. Du kriegst
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